Jennerwein
dann, in den Tälern und über den Gipfeln lastete noch immer der Nebel, wurden sie fündig. Beinhart gefroren war die Leiche Georg Jennerweins, noch immer lag der Stutzen auf seinem Körper, klemmte der große Zeh am Abzugsbügel fest.
Zunächst zweifelte niemand daran, daß er sich selbst erschossen hatte. Als man jedoch den Toten aufbahren wollte, entdeckte man den zweiten Einschuß im Rücken. Selbst die kriminalistisch nicht geschulten Gebirgler konnten sich den wahren Tathergang daraufhin leicht zusammenreimen. Hingemeuchelt hatte jemand den Wildschützen vom Schliersee; hinterrücks.
Schon bei der Beerdigung Jennerweins auf dem Westenhofener Friedhof, nachdem die Gerichtskommission die Leiche freigegeben hatte, wurden Gerüchte laut. Ein Jäger mußte es gewesen sein; einer der geschworenen Feinde des Girgl. Es kam ans Tageslicht, daß Simon Lechenauer sich zur fraglichen Zeit in der Nähe des Tatortes aufgehalten hatte. Der jedoch konnte ein Alibi beibringen, freilich erst, nachdem er sich notgedrungen bereits hatte versetzen lassen. Eine Austragsbäuerin und ein Landwirt hatten den Tegernseer Jäger am Wallberg getroffen, nur kurze Zeit bevor es auf der Bodenschneid gekracht hatte.
Weiter wucherte das Mißtrauen, bis sich zuletzt die Indizien gegen Johann Pföderl immer mehr verdichteten. Er wurde festgenommen und gestand praktisch auf der Stelle. Die Staatsanwaltschaft erhob Mordanklage gegen ihn. Ließ diese aber wenig später wieder fallen, und letztlich verurteilten die wittelsbachischen Juristen den Jagdgehilfen lediglich zu acht Monaten Gefängnis. Pföderls Pflichteifer und seine Tüchtigkeit im Jagdberuf, so jedenfalls die offizielle Sprechweise, waren strafmildernd berücksichtigt worden.
Johann Pföderl wurde anschließend ins Forstrevier Valepp versetzt, wo er – immer ärger dem Trunk ergeben – noch bis zum Sommer 1889 Dienst tat.
Am elften Juli dieses Jahres wurde er, im alkoholischen Zusammenbruch delirierend, ins Tegernseer Hospital eingeliefert. Ein einziger Tag Leben – und der soll gräßlich gewesen sein – war ihm dort noch vergönnt. Möglich aber, daß der Dunkle im letzten Aufbäumen seines Gewissens und in seiner eigenen tiefsten Erniedrigung den Kern einer Wahrheit erspürte: Daß er und Georg Jennerwein Brüder gewesen waren in der Chancenlosigkeit und Verlogenheit ihrer Gesellschaft. Daß man sie beide mißbraucht und fehlgeleitet hatte, bis zum Schädelplatzen und bis in den Säuferwahn. Und daß sie den Wildererstutzen ebenso wie die Jägerbüchse, das Militärgewehr dazu, besser gegen die wahren Schuldigen gerichtet hätten!
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