Julia Extra Band 0349
stoßen.
Nicht, dass sie ihn gesucht hatte.
„Möchtest du den Brutplatz sehen?“
In der nächsten Bucht fand Honor Rob und machte ein Versöhnungsangebot. Ihr ging plötzlich auf, dass er ihr Freiraum gelassen hatte. Das überraschte sie und brachte sie ein bisschen aus der Fassung.
Sein herzliches Lächeln gab ihr den Rest, und Honor blieb nervös. Weil Rob in der einen Minute durch und durch der selbstsichere, sexy Playboy war und in der nächsten die Maske fallen ließ. Dann war er aufmerksam, rücksichtsvoll und strahlte eine umwerfende heitere Gelassenheit aus. Oder war die heitere Gelassenheit die Maske?
Nein, das glaubte Honor nicht.
„Die Meeresschildkröten? Klar.“
Unwillkürlich freute Honor sich, dass er sich sofort an den Schwerpunkt ihrer Forschungen erinnert hatte. Sie führte ihn um die Binnenlagune herum und durch eine Baumgruppe. An einem Strand ungefähr einhundert Meter nördlich der Gedenkstätte für die Emden kamen sie heraus.
Oberhalb der Flutmarke waren die Paddelabdrücke zu erkennen, wo eine Schildkröte ihre Flossenfüße fest im Sand verkeilt und sich dann vorwärtsgezogen hatte. Langsam und mühsam den ganzen Weg die Dünen hoch.
Honor blieb stehen und zeigte auf das Muster. Verständnislos sah Rob sie an.
„Hier ist es“, sagte sie.
„Was?“
„Diese Spuren im Sand. Eine weibliche Schildkröte ist gestern Nacht die Düne hochgekrochen, um ihre Eier abzulegen. Unter Wasser sind sie so anmutig, aber an Land zu kommen und ihr Gewicht über den Strand zu ziehen ist sehr anstrengend für sie. Dann graben sie ein Loch und legen fünfzig bis hundert Eier hinein. Danach schaufeln sie das Loch wieder zu und haben noch den ganzen Weg zurück ins Meer vor sich. Es ist wirklich erstaunlich.“
Rob sah nicht erstaunt, aber zumindest interessiert aus. „Was ist deine Aufgabe dabei?“
„Ich überwache die Eiablage, wie viele ausschlüpfen, wie viele sich ausgraben, wie viele es ins Meer schaffen.“
„Woher weißt du, wie viele abgelegt werden?“
„Ich grabe das Nest aus und zähle.“
Er zog die Augenbrauen hoch. „Du bist eine Plünderin?“
Ihre eigenen Worte auf sie selbst gemünzt. Das hatte Honor nicht so gern, aber sie bewunderte seine geistreiche Retourkutsche. Also war der Mann nicht nur attraktiv, er hatte auch Köpfchen. Das gefiel ihr.
„Ich bin Wissenschaftlerin. Ich zähle schnell und schaufele das Nest wieder zu. Dann markiere ich es und überwache es die nächsten zehn Wochen, bis die Jungen ausschlüpfen.“
„Hilfst du ihnen?“
„Nein, niemals. Beobachten, nicht eingreifen. So lautet die erste Regel wissenschaftlicher Arbeit.“
Sie liefen am Strand entlang, und Honor zeigte Rob Dutzende Nester, die mit grünem Leuchtband markiert waren.
„Woher weißt du, wo sie ein Nest graben?“
„Ich warte darauf, dass sie es mir zeigen. Ich halte jede Nacht Ausschau.“
„Jede Nacht?“
Honor lachte. „Meinst du, ich sollte mehr mit meinen Abenden hier anfangen? Die Nachtklubs von Pulu Keeling besuchen vielleicht?“
Es passierte wieder. Rob wurde rot. Warum fand sie das so anziehend?
„Alle diese Nester wurden im Oktober und November gefüllt. Davor hat es Eiablagen gegeben, und es wird später noch viele geben. Meine Forschungsarbeit beschränkt sich jedes Jahr nur auf die Eier, die in diesen zwei Monaten abgelegt werden. Ich muss hier sein, wenn die Oktober-Schildkröten an Land kommen. Frühestens nach acht Wochen schlüpfen die ersten Jungen.“
„Und dann?“
„Dann lebe ich mehr oder weniger auf dieser Seite der Insel und überwache die Nester.“
„Bis Mum zurückkehrt und die Jungen ausgräbt?“, fragte Rob.
Neugierig sah Honor ihn an. Hatte der Mann noch nie etwas vom Schnupperkanal gehört? „Die Mütter sehen ihre Brut nie wieder. Die Jungen graben sich selbst aus.“
Rob schwieg einen Moment. „Dass eine Mutter ihre Jungen im Stich lässt, scheint mir unnatürlich zu sein“, sagte er schließlich. „Sollte sie nicht dafür sorgen, dass ihre Kinder überleben?“
Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, und Honor musste das Bedürfnis unterdrücken, einfach davonzulaufen.
„Ihr Leben ist auch kostbar!“, brauste Honor auf. „Wenn sie sich in Gefahr bringt, indem sie länger als ein paar Stunden an Land bleibt, wird sie vielleicht überhaupt keine Nachkommen haben!“
Seufzend wandte Honor sich ab. Bestimmt hielt Rob sie jetzt für eine Fanatikerin, aber er brauchte nicht zu wissen, wo ihre Wut wirklich
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