Julia Quinn
Hoffnung, dass Lord Chatteris es sich noch anders
überlegt?«
Honoria schluckte unbehaglich. »Ich fürchte
nein, Madam.«
Mrs Royle schüttelte den Kopf und schnalzte
bedauernd mit der Zunge. »Wie schade. Wenn er gekommen wäre, wäre das für mich
wirklich ein Triumph gewesen. Nun ja, gute Nacht, meine Liebe. Träumen Sie
schön.«
Zwanzig Meilen entfernt saß Marcus in seinem Arbeitszimmer und ließ sich
Honorias Nachricht bei einem Becher heißem Apfelwein noch einmal durch den
Kopf gehen. Beim ersten Lesen hatte er laut aufgelacht, was wohl auch in ihrer
Absicht gelegen haben dürfte. Vielleicht war es nicht der Hauptzweck der
Botschaft – der bestand vermutlich darin, ihn von Mrs Royles Gesellschaft
fernzuhalten –, aber sie hatte sicher gewusst, wie sehr ihre Worte ihn
amüsieren würden.
Lächelnd las er den Brief noch einmal. Nur Honoria brachte es
fertig, ihn in ein und demselben Schreiben ein- und wieder auszuladen.
Sie wiederzusehen war schön gewesen. Ihr letztes richtiges Treffen
lag schon eine Ewigkeit zurück. Die vielen Male, die sie einander in London über den Weg gelaufen waren, zählten nicht.
Jedenfalls nicht im Vergleich zu den sorglosen Zeiten, die er mit ihr und ihrer
Familie auf Whipple Hall verbracht hatte. In London war er nie entspannt.
Entweder, er versuchte, all den ehrgeizigen Müttern auszuweichen, die sich in
den Kopf gesetzt hatten, dass ihre Tochter die nächste Lady Chatteris werden
musste. Oder er versuchte, Honoria im Auge zu behalten. Oder beides.
Ein Wunder, dass bislang noch keiner auf die Idee gekommen war, er
könnte selbst an ihr interessiert sein. Er hatte wahrhaftig genug Zeit damit
zugebracht, sich in aller Diskretion in ihre Angelegenheiten zu mischen. Vier
Gentlemen hatte er im letzten Jahr verjagt – zwei Glücksritter, einen Mann von
grausamem Wesen und einen alternden aufgeblasenen Esel. Dem hätte Honoria
gewiss auch von allein einen Korb gegeben, da war er ziemlich sicher. Aber der
mit dem brutalen Charakter verbarg seine wahre Natur sehr geschickt, und die
beiden Glücksritter galten als äußerst charmant.
Na ja, das war wohl eine Voraussetzung für
diese Laufbahn.
Vermutlich interessierte Honoria sich nun für einen der Herren,
die zu Mrs Royles Gesellschaft geladen waren, und wollte ihn nicht dabeihaben,
weil sie befürchtete, er könnte die Sache ruinieren. Er hatte auch tatsächlich
keine große Lust hinzugehen, in diesem Punkt stimmten sie also schon mal
überein.
Aber er musste unbedingt herausfinden, wen sie ins Visier genommen
hatte. Falls er den Gentleman nicht kannte, würde er Erkundigungen einziehen
müssen. An die Gästeliste zu kommen dürfte nicht weiter schwer sein; seine
Dienstboten wussten immer, wo dergleichen aufzutreiben war.
Bei schönem Wetter würde er am Wochenende
vielleicht ausreiten. Oder spazieren gehen. Im Wald gab es einen Pfad, der im
Zickzack über die Grenze zwischen Fensmore und Bricstan verlief. Er konnte sich
nicht entsinnen, wann er zum letzten Mal dort entlanggegangen war. Eigentlich
unverantwortlich. Ein Landbesitzer sollte seinen Besitz wie seine Westentasche
kennen.
Dann also ein Spaziergang. Und wenn er
zufällig auf Honoria und ihre Freunde stieß, würde er gerade lang genug mit
ihnen plaudern, um die nötigen Informationen einzuholen. Auf diese Weise kam er
um die Gesellschaft herum und konnte trotzdem in Erfahrung bringen, bei wem sie
es versuchen wollte.
Besser ging es doch gar nicht! Marcus trank seinen Apfelwein aus
und lächelte.
3. Kapitel
Am Sonntagnachmittag war Honoria endgültig überzeugt, dass sie die richtige Wahl getroffen hatte.
Gregory Bridgerton wäre der ideale Gatte! Bereits vor ein paar Tagen, als er
beim Dinner im Stadthaus der Royles neben ihr saß, hatte sie ihn unglaublich
charmant gefunden, und dieser Eindruck hatte sich im Laufe des Wochenendes nur
noch verfestigt.
Er wiederum wirkte zwar keineswegs, als habe
er sich unsterblich in sie verliebt, aber er schien ihr auch keine andere
vorzuziehen. Er war freundlich, höflich, und sein Sinn für Humor kam ihrem
eigenen gleich.
Wenn sie sich anstrengte, dessen war Honoria
sich sicher, hatte sie eine gute Chance, George Bridgertons Interesse zu wecken.
Er war ein jüngerer – nein, sogar der jüngste Sohn, was bedeutete, dass junge
Damen, die auf einen Titel aus waren, ihn nicht weiter beachten würden. Und er
brauchte vermutlich Geld. Seine Familie war zwar recht wohlhabend und würde ihn
wahrscheinlich mit einem gewissen
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