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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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und her schwankte.
    Tarasoff warf einen Blick auf den Instrumententisch und entdeckte die Spritze mit dem Succinylcholin. Sie enthielt noch immer mehr als genug, um dieses Kind ruhigzustellen. Langsam schob er sich seitwärts, stieg über Hodells Leiche und die sich ausbreitende Blutlache. Die Pistole schwenkte wieder zu ihm herüber.
    Der Junge weinte jetzt, sein Atem ging in raschen, schluchzenden Stößen.
    »Es ist alles in Ordnung«, versuchte Tarasoff ihn zu besänftigen. Er lächelte. »Habe keine Angst. Ich will deiner Freundin doch nur helfen. Sie wieder gesund machen. Sie ist sehr krank. Wußtest du das nicht? Sie braucht einen Doktor.«
    Der Junge richtete seinen Blick auf den Tisch, auf die Frau. Er machte einen Schritt nach vorn, dann noch einen. Plötzlich stieß er einen hohen, durchdringenden Klagelaut aus. Er bemerkte nicht, daß der Anästhesist sich hinter ihm vorbeidrückte und aus dem Zimmer floh. Auch das ferne Brummen des Hubschraubers im Landeanflug schien er nicht wahrzunehmen. Sie kamen, um die Ware abzuholen.
    Tarasoff nahm die Spritze vom Wagen. Ruhig näherte er sich dem Jungen.
    Der Junge hob den Kopf, und sein Weinen schwoll zu einem verzweifelten Kreischen an.
    Tarasoff hob die Spritze.
    In diesem Moment blickte der Junge zu ihm auf. Als er Gregors Waffe hob, stand in seinen Augen nicht länger Angst, sondern schiere Wut.
    Er feuerte ein letztes Mal ab.

Sechsundzwanzig
    D er Junge wollte nicht von ihrer Seite weichen. Von dem Moment an, in dem die Schwestern sie aus dem Aufwachraum in die chirurgische Intensivstation geschoben hatten, war er bei ihr geblieben wie ein blasses kleines Gespenst, das um ihr Bett spukte. Zweimal hatten ihn die Schwestern an die Hand genommen und aus dem Zimmer geführt. Zweimal hatte der Junge seinen Weg dorthin zurückgefunden. Jetzt hielt er das Bettgestell gepackt, während sein Blick Abby stumm anflehte aufzuwachen. Zumindest war er nicht mehr so hysterisch, wie Katzka ihn auf dem Schiff angetroffen hatte. Der Junge hatte über Abbys aufgeschnittenem Körper gelehnt und sie schluchzend angefleht weiterzuleben. Katzka hatte kein Wort von dem verstanden, was der Junge sagte, aber seine Panik hatte er perfekt verstanden. Und seine Verzweiflung.
    Es klopfte an das Sichtfenster. Katzka drehte sich um und sah, daß Vivian Chao ihm ein Zeichen machte. Er öffnete die Tür und trat in den Flur.
    »Der Kleine kann nicht die ganze Nacht hier bleiben«, erklärte sie. »Er ist dem Personal im Weg. Außerdem sieht er nicht besonders sauber aus.«
    »Er fängt jedesmal an zu schreien, wenn wir ihn wegbringen wollen.«
    »Können Sie nicht mit ihm reden?«
    »Ich kann kein Russisch. Sie etwa?«
    »Wir warten noch auf den Dolmetscher des Krankenhauses.
    Warum setzten Sie nicht Ihre männliche Autorität ein und zerren ihn einfach nach draußen?«
    »Lassen Sie dem Jungen noch ein wenig Zeit mit ihr, ja?«
    Katzka drehte sich um und sah durch das Fenster auf das Bett.
    Erneut mußte er gegen ein anderes Bild ankämpfen, das ihm immer wieder vor Augen trat und ihn für den Rest seiner Tage verfolgen würde: die auf dem Tisch liegende Abby, den Unterleib aufgeschnitten, ihre Eingeweide glitzernd unter den OP-Lampen.
    Der wimmernde Junge über ihrem Gesicht. Und auf dem Boden in ihrem eigenen Blut die beiden Männer: Hodell war schon tot, Tarasoff blutete und war bewußtlos, aber er lebte. Er war wie alle anderen auf dem Frachter verhaftet worden.
    Weitere Festnahmen würden folgen, die Ermittlungen hatten erst begonnen. Die Bundesbehörden zogen das Netz um die Sigajew-Gesellschaft enger. Den Aussagen der Besatzungsmitglieder des Frachters nach zu urteilen, war das Ausmaß des Organhandels ungleich größer und weit erschreckender, als Katzka es sich je hätte träumen lassen.
    Er blinzelte und konzentrierte sich wieder auf das Hier und Jetzt: auf Abby, die mit verbundenem Unterleib auf der anderen Seite des Fensters lag. Ihre Brust hob und senkte sich. Die Linie auf dem Monitor zeigte ihren gleichmäßigen Herzrhythmus. Nur für einen Augenblick erinnerte er sich an die Panik, die er auf dem Schiff durchlebt hatte, als Abbys Herzschlag mit einem Mal unregelmäßig über den Bildschirm geflimmert war. Als er im Begriff gestanden hatte, sie zu verlieren, und der Hubschrauber, der Vivian und Wettig zu dem Schiff brachte, noch meilenweit entfernt gewesen war. Er berührte die Scheibe und mußte erneut blinzeln. Und noch einmal.
    »Sie wird wieder in Ordnung kommen,

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