Karibische Affaire
Prescott und Schwester. Sie bedeuteten Miss Marple, den Kaffee gemeinsam mit ihnen einzunehmen, und das tat sie. Miss Prescott war eine magere, streng aussehende Frau, der Kanonikus hingegen ein rundlicher Mann mit rötlichem Teint und voll Freundlichkeit.
Der Kaffee wurde gebracht, man schob die Stühle ein wenig zurück, und Miss Prescott öffnete ihren Handarbeitsbeutel, dem sie ein paar wirklich scheußliche Tischdeckchen entnahm, an deren Saum sie arbeitete. Dabei erzählte sie Miss Marple vom Tagesablauf: Vormittags hatten sie eine neue Mädchenschule besichtigt, und nach dem Mittagsschläfchen waren sie durch eine Zuckerrohrplantage zu einer Pension spaziert, um zusammen mit einigen dort logierenden Freunden Tee zu trinken.
Da die Prescotts schon länger im Golden Palm wohnten, wussten sie einiges über die Hotelgäste zu berichten.
Dieser ganz alte Herr zum Beispiel, Mr Rafiel, kam jedes Jahr hierher. Als Besitzer einer ganzen Kette nordenglischer Supermärkte war er ungeheuer reich. Die junge Dame, die ihn begleitete, war seine Sekretärin; Esther Walters hieß sie und war verwitwet – das alles war natürlich ganz in Ehren, schließlich war Mr Rafiel fast achtzig! Miss Marple nahm das Unanstößige solcher Beziehung verständnisvoll nickend zur Kenntnis, und der Kanonikus bemerkte:
»Übrigens eine sehr nette junge Dame. Ihre Mutter soll Witwe sein und in Chichester wohnen.«
»Dann hat Mr Rafiel auch einen Diener mit, wohl eher eine Art Krankenwärter – er ist als Masseur ausgebildet, glaube ich, und heißt Jackson. Der arme Mr Rafiel ist ja nahezu gänzlich gelähmt. Zu traurig – bei all dem Geld!«
»Aber er ist ein sehr gebefreudiger Herr!«, schloss Kanonikus Prescott beifällig.
Die Leute gruppierten sich nun anders im Saal. Die einen suchten einen größeren Abstand von der Kapelle, während andere sich in deren Nähe drängten. Major Palgrave saß jetzt am Tisch der Dysons und Hillingdons.
»Also diese Leute – « Miss Prescott senkte ihre Stimme unnötigerweise, die Kapelle spielte laut genug.
»Ja, darüber wollte ich Sie ohnehin fragen!«
»Sie waren schon im Vorjahr hier. Jedes Jahr verbringen sie drei Monate in Westindien und besuchen die verschiedenen Inseln. Der Große, Hagere ist Oberst Hillingdon, die dunkle Dame ist seine Frau – beide sind Botaniker. Das andere Paar. Mr und Mrs Gregory Dyson, kommt aus Amerika. Er schreibt, glaube ich, über Schmetterlinge. Und alle vier interessieren sich auch für Vögel.«
»Ich finde es nett, wenn Leute solche Freiluft-Hobbies haben!«, bemerkte Kanonikus Prescott wohlwollend.
»Sag das mit den Hobbies ja nicht zu laut, Jeremy!«, warnte ihn seine Schwester. »Es sind Artikel von ihnen im National Geographic und im Royal Horticultural Journal erschienen. Diese Leute nehmen sich und ihre Arbeit überaus ernst.«
Wie um diese Worte zu widerlegen, dröhnte von dem Tisch, der zur Debatte stand, plötzlich eine Lachsalve herüber. Sie übertönte sogar die Kapelle. Gregory Dyson lehnte sich zurück, hieb unter den Protesten seiner Frau auf den Tisch ein, und Major Palgrave leerte währenddessen unter Beifallsbezeigungen sein Glas.
»Major Palgrave sollte nicht so viel trinken«, stellte Miss Prescott missbilligend fest. »Er leidet an hohem Blutdruck.« Weitere Gläser mit Plantagen-Punsch wurden an den Tisch gebracht.
»Es ist so nett, wenn man weiß, wie die Leute zusammengehören«, sagte Miss Marple. »Heute Nachmittag, als ich sie traf, war ich gar nicht so sicher.«
Es gab eine kleine Pause. Dann hüstelte Miss Prescott diskret und sagte: »Nun, was das betrifft – «
»Joan«, mahnte der Kanonikus, »darüber solltest du besser nichts sagen!«
»Aber Jeremy, ich sage ja gar nichts! Wir hatten nur im Vorjahr – ich weiß nicht mehr, warum – den Eindruck, Mrs Dyson sei Mrs Hillingdon, bis uns jemand sagte, dass das umgekehrt wäre.«
»Man hat oft ganz merkwürdige Eindrücke, nicht wahr?«, sagte Miss Marple unschuldig. Ihr Blick traf sich für einen Moment fraulichen Einverständnisses mit dem von Miss Prescott. Wäre der Kanonikus feinfühliger gewesen, er hätte spüren müssen, dass er de trop war.
Ein weiterer Blickwechsel zwischen den beiden Frauen besagte so deutlich: »Ein andermal!«, als wären die Worte laut ausgesprochen worden.
»Mr Dyson nennt seine Frau ›Lucky‹. Das kann doch nur ein Kosename sein?«, fragte Miss Marple weiter.
»Es dürfte kaum ihr wirklicher Name sein.«
»Zufällig habe ich ihn
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