Karl der Große: Gewalt und Glaube (German Edition)
12 oder 13 Bände umfaßt haben könnte[ 26 ]. Deren wirkmächtigste und heute noch in mehreren Handschriften erhaltene redigierte der Angelsachse Alkuin; sie sollte in gewisser Weise die Grundlage für die heutige lateinische Vulgata abgeben.
«Karls Rolle besteht nicht darin, daß er bei Alkuin eine Bibelrevision in Auftrag gegeben und sie dann im Reich eingeführt hätte. Er hat vielmehr den nötigen Untergrund geschaffen, das geistige Interesse und den lebhaften kulturellen Austausch gefördert, den Anstoß zu wissenschaftlicher Tätigkeit gegeben. Er zeigte mahnend auf die Wichtigkeit eines korrigierten Bibeltextes»[ 27 ].
Die wissenschaftlich wertvollste, sogar Textkritik nicht scheuende Revision redigierte der Gote Theodulf, den Karl zum Bischof von Orléans erhoben hatte; sie bediente sich einer sehr kleinen Minuskel und drängte tatsächlich die gesamte Heilige Schrift, Altes und Neues Testament, in einen einzigen handlichen Codex zusammen. Der Psalter lag in drei Versionen vor, die sich gelegentlich ineiner Handschrift synoptisch vereint sahen: der hebräischen (
iuxta Hebraeos
), der römischen und der gallischen Version, welch letzterer Karl selbst den Vorzug gab, ohne sie doch für sein Reich als verbindlich zu erklären[ 28 ]. Auch dieses früh bezeugte Verlangen nach dem fehlerfrei verkündeten Gotteswort dürfte schon vor der Königszeit Karls des Großen geweckt worden sein.
Ohne Zweifel sollte der künftige Herrscher die kirchlichen Gebote befolgen, später das Volk zum Glauben leiten, selbst die hl. Messe besuchen, zu fasten, zu beten wissen, für Arme, Witwen und Waisen sorgen, die Kirchen schützen und dergleichen mehr. Ein gottgefälliges Leben würde göttlichen Segen auf seine Herrschaftswaltung lenken. Immer wieder wurde es dem König nahegelegt und ohne Zweifel schon dem Knaben gelehrt. Eine aufkommende «Fachliteratur», Mahnschreiben, Königs- und Fürstenspiegel, sorgten unter Lesekundigen für die Kenntnis und Verbreitung solcher Werte[ 29 ]. Karls Erzieher dürften entsprechende Lehren nicht unbekannt gewesen sein.
Später, als junger König, empfing Karl selbst einschlägige Schriften. Ein Ire, Cathuulf, wandte sich mahnend an ihn, als er eben von seinem ersten Italienzug zurückkehrte[ 30 ]: «Mein Herr König, ich bitte dich, stets Dessen eingedenk zu sein, der – wie ich glaube – dich aus Nichts erschuf und aus dem Geringsten zum Größten machte» und zur «Glorie des Königtums Europas» erhöhte. «Gedenke stets mein König, daß du Gottes Stellvertretung innehast, um alle Seine Glieder zu schützen und zu lenken und für sie Rechenschaft abzulegen im Jüngsten Gericht – auch für dich selbst». Acht Wohltaten verdanke er Gott, so führte Cathuulf aus, die ihn auf den Gipfel geführt hätten. Jetzt aber solle er eingedenk seiner Pflichten sein: Die
lex Dei
(mithin die Heilige Schrift) stets zu lesen, keinen Christen an Heiden zu verkaufen (ein bemerkenswerter Hinweis auf Sklavenhandel), die «Braut Christi», die Kirche, zu kleiden. «Acht Säulen» solle er stets mit sich führen, um «die Burg Gottes zu stützen» (
castra Dei … sustentare
): Wahrheit, Geduld, Freigebigkeit, Überzeugungskraft, Bestrafung der Bösen, Erhöhung der Guten, leichte Steuern, Billigkeit des Gerichtsurteils. Er solle ferner in seinem ganzen Reich die Gesetze erneuern und dasUnrecht ausrotten, zu festgesetzten Tagen für St. Michael, den Bezwinger Satans (Apc 12,7–9) und Seelenwäger im Jüngsten Gericht, und für den hl. Petrus, den Apostelfürsten, im gesamten Reich die hl. Messe singen lassen.
Las Karl, was ihm geraten war? Nahm er paränetische Schriften zur Kenntnis? Verstand er sie? Wir wissen es nicht, dürfen es aber – Frucht der Erziehung auch jetzt – vermuten. Immerhin, die zweifache Gruppe von acht Werten und acht «Säulen» der Gottesburg könnte einen tiefen Eindruck bei dem religiös empfänglichen Karl hinterlassen haben, als er Jahre später sich an die Planung seiner eigenen Gottesburg, der Aachener Pfalzkirche, machte. Schon als Heranwachsender wird er entsprechende Mahnungen empfangen haben. Die Achtung des Kirchenrechts wird ihm gleichfalls schon in seiner Jugend, nicht erst durch den Iren, nahegebracht worden sein. Als König trachtete er danach, das Recht zu festigen und ihm allgemeine Geltung zu verschaffen; doch widersprachen sich manche Normen, ohne daß Karl sie glättete. Auch hinderte solcher Legalismus Karl nicht, sich über die eine oder andere
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