Karlo geht von Bord - Kriminalroman
Mitte sah man die Abbildung eines Störs.
Kurz darauf saßen die beiden Nachbarn mit verschwörerischem Blick am Küchentisch, klecksten russischen Beluga-Kaviar auf die Rhöner Reibekuchen und schlürften Champagner aus Reims dazu.
Freitag, 9. September
Gaststätte Bluesmühle, Frankfurt-Fechenheim
2
Es war seine dezente Verdorbenheit, die ihr direkt in den Bauch fuhr. Die sie veranlasste, dem dunkelhaarigen Mann an der Theke wortlos zu gestatten, sich an ihren Tisch zu setzen. Dass er kein unbedingt hübscher Mann war, störte sie nicht. Sie lenkte ihren Blick an der großen, profilbestimmenden Nase entlang zu den sehr ausdrucksvollen braunen Augen, über denen sich kräftige dunkelbraune Brauen wölbten. „Interessant“, dachte Jeannette und wurde nervös.
Doch sofort, als er Platz genommen und zu reden begonnen hatte, kippte die Situation. Es war seine überbordende Gier, die ihn wie eine schwüle Wolke umgab und nun im Begriff war, Jeannette einzuhüllen, ihr die Luft zu nehmen. Es war das, was sie plötzlich auf seiner Stirn zu lesen glaubte:
du und ich, jetzt und hier, am besten gleich auf dem Tisch
. Oder ersatzweise:
Zu mir oder zu dir? Sag schon, aber schnell
.
Aha! Ein notgeiles Arschloch!
Jeannette Müller kannte sich aus. Unbehagen erfasste sie. Sie hoffte, dass Sina Mehler, ihre Freundin aus der Rhön, bald eintraf und mit ihr der geeignete Vorwand, den Kerl elegant und ohne große Texte loszuwerden.
Noch mehr hoffte sie allerdings, dass nicht ihr Freund Karlo Kölner gerade jetzt die Bluesmühle betreten würde.
Karlos Freundin Jeannette lächelte gezwungen und versuchte krampfhaft, die Antwort auf eine Frage des Mannes zu finden. Das fiel ihr nicht leicht, denn sie war in Gedanken geraten und hatte ihm nicht zugehört. Unsicher schaute sie hinüber zu der hufeisenförmigen Theke. Wirt Harry Weber stand dahinter und wischte mit einem schmuddeligen Lappen den klebrigen Belag, der sich an vielen langen Abenden auf der Oberfläche der Theke niedergeschlagen hatte, hin und her. Der trübe Schein der mit dem gleichen Belag versehenen Thekenlampen warf einen gnädigen, bernsteinfarbenen Schimmer auf sein feistes unausgeschlafenes Gesicht. Mit leicht sorgenvoller Miene äugte er dann und wann zu Jeannettes Tisch. Es war nichts los heute, obwohl Freitag war. Live-Musik war heute nicht geplant und so fiel es ihm leichter, ein Auge auf den Tisch zu haben, an dem Karlos Freundin saß. Sie fühlte sich offenkundig unwohl in der Gesellschaft des Mannes.
Weber bemerkte, dass Jeannette wie befreit wirkte, als sie den Klingelton ihres Handys vernahm. Sie begann, hektisch in ihrer Handtasche herumzuwühlen. Als sie das Telefon schließlich ans Ohr hielt, lauschte sie mit angespannter Miene. Kurz darauf konnte sie die Enttäuschung in ihrer Stimme kaum verbergen.
Harry Weber spitzte die Ohren.
„Was soll das heißen: du kommst nicht? Ich habe extra Frühstück für uns eingekauft und … was sagst du? Nächste Woche? Eingeladen? Auf einem Schiff? Was für ein Schiff?“
Jeannette hatte im Verlauf des Gesprächs ihre Handtasche geschnappt. Der Kerl an ihrem Tisch wurde ungeduldig. Mit einer knappen Handbewegung bedeutete sie ihm sitzenzubleiben. Sie erhob sich und verließ das Fechenheimer Musiklokal eiligen Schrittes. Knarrend schloss sich die Eingangstür hinter ihr, als sie die Treppe hinunter in den Hof lief. Ein Schauer rieselte ihr über den Rücken. Beim Aufstehen war ihr der ärgerliche Gesichtsausdruck des aufdringlichen Verehrers aufgefallen. Selbst hier vor der Tür spürte sie noch seine gierigen Blicke. Sie vergewisserte sich, dass er ihr nicht gefolgt war.
Jeannette strich sich mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung durch die blonden Haare und widmete sich wieder der Freundin aus der Rhön. Die beiden hatten längere Zeit keinen Kontakt mehr gehabt. Für heute Abend waren sie endlich einmal wieder verabredet gewesen. Sina wollte dieses Wochenende nach Frankfurt kommen, um zusammen mit Jeannette ein ausgedehntes Frauen-Wochenende zu genießen. Sie hatten vorgehabt, das nächtliche Frankfurt unsicher zu machen. Nordend, Sachsenhausen, etwas Gutes essen, vielleicht ein wenig Live-Musik, so hatten sie es verabredet. Doch Sinas Auto hatte gestreikt und der ADAC hatte sich reichlich Zeit gelassen, um nach der alten Kiste zu sehen. Es war deshalb spät geworden, viel zu spät, und ihre Stimmung war deshalb nicht mehr die beste. Außerdem – und das war der Hauptgrund ihres Anrufs – hatte sie
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