Karlo geht von Bord - Kriminalroman
ein verlockendes Ersatzprogramm anzubieten. Sie fing an, wortreich darüber zu berichten.
Jeannette horchte auf.
„Was? Paul hat in einem Preisausschreiben gewonnen? Ein Krimi-Dinner auf einem Schiff? Toll. Wann soll das sein? Nächste Woche schon? Das ist jetzt ein wenig kurzfristig. Aber – na gut, Sina, dann eben nächste Woche. Das krieg ich schon irgendwie hin. An einem Krimi-Dinner hab ich noch nie teilgenommen. Und Paul hab ich auch schon lange nicht mehr gesehen, da freu ich mich besonders drauf und … was? Du schickst mir noch eine Mail? Ach so, mit einem Link zum Veranstalter, klar. Da kann ich auch Karlo neugierig machen. Hoffentlich hat er Lust, uns zu begleiten.“
Sina hatte sich noch dafür entschuldigt, dass sie und Paul in ihrer Begeisterung erst an diesem Nachmittag entdeckt hatten, dass der Gewinn insgesamt vier Personen begünstigte. Sie waren die ganze Zeit von einer Einladung für zwei ausgegangen, wie das normalerweise üblich war.
Jeannette drehte sich um und schickte einen argwöhnischen Blick zur Eingangstür der Kneipe, doch der Kerl ließ sich nicht blicken.
„Ach, Sina, ich freu mich schon. Ich sag dir bald Bescheid, ob Karlo auch mitkommt. Bis dann. Ich melde mich, so schnell es geht.“
Sie dachte an Sinas Nachbarn Paul und musste lächeln. Ob zwischen dem verliebten Hobbykoch und Sina Mehler mittlerweile mehr lief als nur die übliche nachbarschaftliche Freundschaft? Sie hatte sich nicht getraut nachzufragen. Nun, nächste Woche würde sie vielleicht mehr erfahren.
Der Kerl an ihrem Tisch drängte sich wieder in ihr Bewusstsein. Diesen Burschen benötigte sie jetzt wie Zahnweh. Doch was sollte sie tun? Sie zögerte, die Treppe zur Eingangstür hinaufzusteigen. Da kam ihr eine Eingebung. Sie wählte die Nummer der Kneipe. Nach dem dritten Freizeichen wurde abgehoben.
„Bluesmühle, Weber, guten Abend?“
„Harry, ich bin’s, Jeannette.“ Jeannette klang beschwörend. „Sag mal, sitzt der Typ noch an meinem Tisch? Ja? Gut, dann hör mal: Ich hab keinen Bock auf den und ich will auch nicht groß diskutieren müssen. Ob du … was? Nein, nein, lass nur, er hat ja nichts getan. Verkauf ihm ruhig noch ein paar Bier, du lebst doch davon, oder? Ich verzieh mich jetzt nach Hause. Sina kommt heute doch nicht, ihr ist etwas dazwischengekommen. Aber das erzähl ich dir beim nächsten Mal. Schreibst du mein Bier auf den Deckel, bitte? Prima! Mach’s gut, Harry, bis dann, ich danke dir …“
Jeannette trat durch das Hoftor auf die Mittelseestraße und wandte sich nach links. Sie blieb stehen, warf noch einen flüchtigen Blick auf die schmuddeligen Kneipenfenster, die ein diffuses Licht in den Hof entließen, dann trottete sie langsam und nachdenklich los. Es dauerte nicht lange und sie hatte die paar hundert Meter bis zu ihrer Wohnung zurückgelegt. Als sie die Haustür öffnete und ins Treppenhaus trat, verzog sie ärgerlich das Gesicht. Es war doch immer das Gleiche. Das Skateboard von Niklas, dem kleinen Mistkerl, stand schon wieder mitten im Weg herum. Kürzlich hatte sie sich beinahe auf den Hintern gesetzt. Unwillig schüttelte sie den Kopf und wollte weitergehen. Urplötzlich kroch ihr eine Gänsehaut den Nacken empor.
Da war auf einmal noch etwas anderes.
Ohne sich umzudrehen spürte sie die Gegenwart des Fremden. Die Klinke der abrupt aufgestoßenen Tür bohrte sich schmerzhaft in ihren Rücken. Sie stolperte einen Schritt vorwärts, ihr Schlüsselbund glitt ihr aus der Hand und fiel zu Boden. Ein kräftiger Arm legte sich um ihren Hals und nahm ihr die Luft. Als sie die Stimme wiedererkannte, erfasste sie die nackte Angst.
Der Fremde sprach leise, ganz leise und betont sanft. Der behutsame Ton bildete einen beängstigenden Kontrast zu dem brutalen Griff.
„Also zu dir? Auch gut. Du hast bloß vergessen, mich mitzunehmen, das war gar nicht nett von dir. Aber jetzt ist ja alles gut. Jetzt bin ich bei dir.“
Die Stimme war etwas lauter geworden, klang nun ölig, ihr erregtes Vibrato mündete in einem hundsgemeinen Unterton.
Jeannette wand sich verzweifelt in dem fester werdenden Griff des Mannes, der sich nun dicht an sie presste. Sie spürte, wie er seinen Unterkörper rhythmisch an ihrer Hüfte rieb. Feuchte Lippen krochen wie zwei schleimige Schnecken langsam über ihren Hals. Jeannette fühlte, wie sich seine Zunge entlang ihres Haaransatzes bewegte. An ihrem Ohr hielt sie inne. Er stöhnte ihr erregt in die Ohrmuschel. Seine nasse Zunge kroch am äußeren
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