Kay Scarpetta 16: Scarpetta
Verwaltungsmann, hereinkam. Widerwillen und Abscheu malten sich auf seinem jungenhaften Gesicht. Er war, was die Vorgänge in diesem Raum betraf, zwar nicht zimperlich, fühlte sich wie die meisten Menschen jedoch davon abgestoßen. Nachdem er einige Papierhandtücher aus dem Spender gezogen und sie sich um die Hand gewickelt hatte, hob er den Hörer des schwarzen Wandtelefons ab, dessen Leitung eins blinkte.
»Benton, sind Sie noch dran?«, sprach er ins Telefon. »Sie steht hier neben mir und hat ein ziemlich großes Messer in der Hand. Hat Sie Ihnen schon von den Ereignissen des Tages erzählt? Der tragischste Fall ist die Studentin von der Tufts University. Ihr Leben war gerade mal zweihundert Dollar wert. Irgendein Arschloch von einer Gang, den Bloods oder den Crips. Der müsste eigentlich auf dem Überwachungsvideo sein. Die Nachrichten haben es gemeldet. Jack sollte den Fall nicht übernehmen, bei dem platzt nämlich gleich ein Aneurysma. Aber mich fragt ja keiner. Und dann noch dieser Selbstmord. Kommt ohne einen Kratzer aus dem Irak zurück. Also alles okay für die Army. Frohes Fest und alles Gute auf Ihrem künftigen Lebensweg.«
Scarpetta schob den Gesichtsschutz zurück, zog die Handschuhe aus und warf sie in die grellrote, für infektiöse Abfälle bestimmte Mülltonne. Dann wusch sie sich in einem großen Waschbecken aus Edelstahl gründlich die Hände.
»Das Wetter ist mies, draußen genauso wie hier drin«, redete Bryce weiter auf Benton ein, der diese Art von Gesprächen verabscheute. »Volles Haus, und Jack ist gereizt und schlecht gelaunt. Wir sollten etwas für ihn tun. Ein Wochenende in Ihrer Klinik in Harvard vielleicht. Ob man da einen Familienrabatt bekommt?«
Scarpetta nahm ihm den Hörer ab.
»Hacken Sie nicht immer auf Jack rum«, sagte sie zu Bryce. »Ich glaube, er ist wieder auf Steroiden und deshalb ständig so gereizt.«
Scarpetta drehte Bryce und den anderen den Rücken zu. »Was gibt's?«, fragte sie Benton.
Sie hatten schon bei Tagesanbruch miteinander gesprochen. Dass er sie wenige Stunden später noch einmal im Autopsiesaal anrief, verhieß nichts Gutes.
»Ich fürchte, wir haben hier ein Problem«, erwiderte er. Das hatte er bereits letzte Nacht gesagt, als sie ihn traf, nachdem sie vom Tatort, an dem die Tufts-Studentin umgebracht wurde, zurückgekehrt war. Benton war auf dem Weg zum Logan Airport, um die letzte Maschine noch zu erwischen. Die New Yorker Polizei hatte einen schwierigen Fall zu lösen und benötigte seine Hilfe.
»Jaime Berger bittet dich ebenfalls herzukommen«, fügte er hinzu.
Wie immer, wenn Scarpetta diesen Namen hörte, fühlte sie sich beklommen, denn die New Yorker Staatsanwältin erinnerte sie an ein vergangenes Ereignis, das sie lieber vergessen hätte.
»Je schneller, desto besser. Schaffst du den Flug um eins? «, fragte Benton.
Laut Wanduhr war es kurz vor zehn. Scarpetta musste noch die Autopsie abschließen, duschen und sich umziehen. Außerdem wollte sie noch rasch nach Hause. Essen, dachte sie.
Hausgemachter Mozzarella, Kichererbsensuppe, Fleischklößchen, Brot. Was sonst noch? Den Ricotta mit frischem Basilikum, den Benton so gern auf der selbstgemachten Pizza aß. All das hatte sie gestern vorbereitet, nicht ahnend, dass sie den Silvesterabend allein verbringen würde. In ihrer New Yorker Wohnung war der Kühlschrank bestimmt leer. Wenn Benton allein war, ließ er sich meist etwas vom Pizzaservice liefern.
»Komm direkt ins Bellevue«, sagte er. »Dein Gepäck kannst du in meinem Büro lassen. Den Tatortkoffer habe ich schon vorbereitet. «
Ein Messer wurde geschärft; durch das zornig klingende Kratzen konnte Scarpetta Benton kaum verstehen. An der Tür begann die Sirene zu heulen, und die Überwachungskamera zeigte einen Arm in einem dunklen Ärmel, der aus dem Fahrerfenster eines weißen Lieferwagens ragte, während der Mitarbeiter des Transportdienstes auf die Klingel drückte.
»Könnte bitte mal jemand aufmachen?«, überschrie Scarpetta den allgemeinen Lärm.
Im Gefängnistrakt des Bellevue Hospital Center verband ein Headset Benton mit seiner etwa zweihundertzwanzig Kilometer entfernten Frau.
Er erklärte ihr, dass letzte Nacht ein Mann in die forensische Psychiatrie eingeliefert worden sei. »Berger möchte, dass du dir seine Verletzungen ansiehst«, fügte er hinzu.
»Was wirft man ihm vor?«, erkundigte sich Scarpetta.
Im Hintergrund konnte Benton Stimmengewirr und die
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