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Brunetti 05 - Acqua alta

Brunetti 05 - Acqua alta

Titel: Brunetti 05 - Acqua alta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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    Es herrschte friedvolle Häuslichkeit. Flavia Petrelli, Primadonna der Mailänder Scala, stand in der warmen Küche und schnitt Zwiebeln. Vor ihr lagen in getrennten Häufchen Flaschentomaten, zwei feingeschnittene Knoblauchzehen und zwei bauchige Auberginen. Sie stand, über das Gemüse gebeugt, vor der Marmorplatte des Küchentresens und sang, füllte den Raum mit den goldenen Tönen ihres Soprans. Hin und wieder strich sie mit dem Handrücken eine dunkle Locke zurück, die sich, kaum hinters Ohr geklemmt, wieder löste und ihr erneut über die Wange fiel.
    Am anderen Ende des großen Raumes, der fast den gesamten obersten Stock des venezianischen Palazzo aus dem vierzehnten Jahrhundert einnahm, lag Brett Lynch, Besitzerin der Wohnung und Flavias Geliebte, auf einem beigefarbenen Sofa, ihre nackten Füße gegen die eine Armlehne gestemmt, den Kopf auf der anderen, und las die Partitur von I Puritani mit, während die Musik - Nachbarn hin, Nachbarn her - aus zwei großen Lautsprechern auf Mahagonisockeln dröhnte. Die Musik schwoll an und erfüllte den Raum, als die singende Elvira sich anschickte, dem Wahnsinn zu verfallen - und das sogar doppelt. Unheimlich, zwei Elviras gleichzeitig zu hören, die eine, die Flavia vor fünf Monaten in London aufgenommen hatte, sanft aus den Lautsprechern; die andere aus der Küche - die Stimme der zwiebelschneidenden Frau.
    Flavia, die in völliger Übereinstimmung mit ihrer Plattenstimme sang, unterbrach sich hin und wieder mit Fragen wie: »Uff, wer behauptet eigentlich, ich hätte eine Mittellage?« oder: »Soll das ein B sein, was die Streicher da spielen?« Nach jeder Unterbrechung nahm ihre Stimme die Musik wieder auf, ihre Hände das Zwiebelschneiden. Links von ihr stand auf kleiner Flamme eine große Bratpfanne, in der eine Lache aus Olivenöl auf das erste Gemüse wartete.
    Vier Etagen tiefer wurde die Klingel gedrückt. »Ich geh schon hin«, sagte Brett, legte die offene Partitur auf den Boden und erhob sich. »Wahrscheinlich die Zeugen Jehovas. Die kommen gern sonntags.« Flavia nickte, schob eine dunkle Haarsträhne aus dem Gesicht und widmete sich erneut den Zwiebeln und Elviras Wahnsinn, den sie mittendrin wieder aufnahm.
    Barfüßig, froh über die Wärme der Wohnung an diesem Nachmittag Ende Januar, lief Brett über die Holzdielen auf den Flur, hob neben der Tür den Hörer der Sprechanlage ab und fragte: »Chi c'è?«
    Eine Männerstimme antwortete auf italienisch: »Wir kommen vom Museum. Mit Unterlagen von Dottor Semenzato.«
    Merkwürdig, daß der Direktor des Museums im Dogenpalast ihr Unterlagen schickte, und das am Sonntag, aber vielleicht hatte ihn der Brief doch alarmiert, den Brett ihm aus China geschrieben hatte — obwohl es vor ein paar Tagen am Telefon nicht so geklungen hatte -, und er wollte ihr vor dem Gesprächstermin, den er ihr widerwillig für Dienstag vormittag eingeräumt hatte, etwas zu lesen geben.
    »Bringen Sie's rauf, wenn es Ihnen nichts ausmacht. Oberster Stock.« Brett hängte den Hörer zurück und drückte auf den Knopf, der vier Etagen tiefer die Tür öffnete; dann ging sie zurück und rief Flavia durch das Schluchzen der Violinen zu: »Jemand vom Museum. Mit Unterlagen.«
    Flavia nickte und nahm sich die erste Aubergine vor, die sie in der Mitte durchschnitt, dann gab sie sich, ohne einen Takt auszulassen, wieder dem ernsten Geschäft hin, aus Liebe den Verstand zu verlieren.
    Brett ging zur Wohnungstür zurück, bückte sich, um die umgeschlagene Ecke eines Läufers richtig hinzulegen, und öffnete die Tür. Von unten waren Schritte zu hören, dann kamen zwei Männer ins Blickfeld, die am letzten Treppenabsatz innehielten. »Nur noch sechzehn Stufen«, rief Brett mit einladendem Lächeln und stellte rasch einen nackten Fuß auf den anderen, als der kalte Luftzug aus dem Treppenhaus sie traf.
    Sie blieben unter ihr auf der Treppe stehen und sahen zu der offenen Tür herauf. Der erste hatte einen großen Umschlag in der Hand. Sie ruhten sich einen Moment aus, bevor sie die letzten Stufen in Angriff nahmen, und Brett lächelte erneut und rief aufmunternd: » Forza .«
    Der erste, klein und blond, lächelte zurück und betrat das letzte Treppenstück. Sein Begleiter, größer und dunkler, holte noch einmal tief Luft und kam ihm nach. Als der erste Mann bei der Tür angelangt war, blieb er stehen und wartete auf den anderen.
    »Dottoressa Lynch?« fragte der Blonde.
    »Ja«, antwortete sie, indem sie zurücktrat, um sie

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