Kein bisschen Liebe
ordentlich an mir zu reiben, und sagte:
»Wart kurz, Süßer. Ich geh mal Streichhölzer holen.«
Ich wartete einen Moment auf sie, ohne mich zu bewegen. Sie kam mit einer Kerosinlampe wieder, füllte die Flasche mit Rum. Gab sie mir. Ich gab ihr fünfundzwanzig Pesos. Sie nahm sie wortlos, ohne auch nur Danke zu sagen. Ich trat auf den Korridor hinaus. Der Mond warf ein schwaches Licht. Die Mulattin beugte sich aus der Tür und rief nach mir. Sie hatte die Lampe in der Hand und wirkte erregt. Ich machte auf dem Absatz kehrt. Sie sagte:
»Gibst du mir keinen aus? Willst du den Rum allein trinken, oder ist dir nach Gesellschaft?«
»Hol ein Glas.«
Ich gab ihr die Flasche, und sie führte sie zum Mund. Sie umschloss den Flaschenhals mit den Lippen, als würde sie was anderes lutschen. Sie nahm einen tiefen Zug. Dann fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen und fixierte mich mit einem irren Schlafzimmerblick. Die lehnte sich aber weit aus dem Fenster. Sie wiederholte ihre Frage:
»Willst du den allein trinken?«
»Mal sehen. Ich weiß nicht.«
»Ich bin hier.«
»Okay. Wart auf mich. Ich komme gleich wieder.«
»Ich warte.«
Ich ging zurück ins Haus. Meine Mutter hatte in der Küche eine Kerze angezündet und sämtliche Türen und Fenster verriegelt. Ich schenkte mir ein und bot ihr auch etwas an.
»Nein, Junge, nein.«
»Komm schon, Mutter. Nur einen Schluck.«
»Wenn ich den einen Schluck nehme, mache ich weiter, bis die Flasche leer ist. Und das geht nicht. Du weißt das.«
Ja. Es war besser so. Seit einem Jahr trinkt sie nicht mehr. Vielleicht sogar noch länger. Sie hat einen sehr starken Willen. Erst hat sie mit dem Rauchen aufgehört. Sechsundfünfzig Jahre lang zwei Schachteln am Tag. Von vierzehn bis siebzig. Ziemlich spät, aber nun gut. Sie sagt, sie kriegt wieder mehr Luft. Jetzt hat sie den Rum aufgegeben. Wir haben nichts, worüber wir reden könnten. Ich frage sie, wann wohl der Strom wieder angestellt wird.
»Wer weiß? Manchmal dauert es zwei oder drei Stunden, oder die ganze Nacht. Oder vierundzwanzig Stunden. Niemand weiß das.«
Und sie seufzt schwer. Ich trinke langsam. Ich würde gern vor das Haus gehen. Ich krieg Zustände, wenn das Haus so verrammelt ist. Um irgendwas zu sagen, erwähne ich die Mulattin, die den Rum verkauft:
»Ziemlich scharf, diese Mulattin. Die hat vielleicht Titten.«
»Flores? Eine Dreckschlampe ist das. Für ein paar Pesos macht sie’s mit jedem. Du bist genau wie dein Vater. Du stehst auf ordinäre Weiber.«
Ich betaste meine Hosentasche. Ich habe eine Cassette von Paquita la del Barrio mitgebracht. Corridos über Liebe und Verrat. Rancheras und Boleros über Menschen, die untreu sind, und Menschen, die leiden. Aus einfachen Gründen. Nichts Bedeutendes. Aber ohne Strom können wir keine Musik hören.
»Mutter, hast du noch Kerzen? Die hier ist gleich runtergebrannt.«
»Ich hab nur noch diesen Stummel. Nicht mal in der Shopping Mall gibt’s noch Kerzen.«
»Wenn sie aus ist, können wir nur noch schlafen gehen.«
»Mhm.«
Wir verharren wieder schweigend. Nichts zu sagen, nichts zu machen. Ich trinke weiter. Ich will mich mit dem Rum betäuben. Wenn ich ins Bett falle, werde ich schlafen wie ein Stein. Und nebenbei widerstehe ich der Versuchung, zu Flores zu gehen. Meine Mutter fängt wieder mit dem Thema an:
»Dein Vater hat so gelebt. Wie ein wildes Tier. Huren, Bars und Tavernen. Ordinäre Weiber. Und ich musste das alles aushalten. Außerdem war er ein Taugenichts. Ein Taugenichts bis zum Tod.«
»Ich bin kein Taugenichts.«
»Also, ich weiß nicht, was soll ich dazu sagen? Mulattinnen, Rum, Musik. Ein lässiges Leben. Und alles ohne zu buckeln. Du führst dich auf wie ein feiner Pinkel. Wenn du kein Taugenichts bist, siehst du jedenfalls aus wie einer.«
»Papa war nicht so. Er hat ganz schön geschuftet …«
»Ach was. Er war sein Lebtag ein Taugenichts und einer, der sich nicht entscheiden konnte. Gott hab ihn selig, aber das ist die Wahrheit. Und du bist genauso wie er. Jetzt hast du schon fünf Kinder von fünf verschiedenen Frauen, und da stehst du noch auf Flores, die vulgärste Schwarze im ganzen Viertel. Eine billige 4-Peso-Nutte.«
Ich blieb schweigend sitzen. Ich will mich nicht streiten. Und schon gar nicht bei der Hitze in einem stockdunklen Raum voller Moskitos, Feuchtigkeit und Kakerlaken. Meine Mutter nimmt alles so ernst. Man könnte meinen, sie wäre keine Kubanerin. Sie hat den Humor verloren, die
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