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Keinmaerchen

Keinmaerchen

Titel: Keinmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Keil
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ich muss alle Möglichkeiten ausschöpfen. Präzision ist die Voraussetzung für unanfechtbare Ergebnisse. Die Zweifler wird das nicht überzeugen. Natürlich nicht. Aber es ist auch nicht notwendig, sie zu überzeugen. Das wird die Zeit erledigen. Wenn sie erst in die glühenden Augen eines Albs geblickt haben, können sie sich vor der Wahrheit nicht mehr verschließen. Und sie werden hineinblicken. Früher oder später.

Conchúbar
    Conchúbar regte sich nicht. Seit Stunden starrte er in die Tiefe, beobachtete seine Brüder, die die Zeiträder drehten. Geduldig verrichteten sie ihre Arbeit. Tag für Tag, Jahr für Jahr. Wenn zum dritten Mal der Vollmond über die Berge steigt, würde er seinen Platz unter ihnen einnehmen.
    Er spuckte auf eine Eidechse, die sich neben einem Stein sonnte und sah zu, wie sie sich wand und zuckte, wie sich Blasen auf ihrer Haut bildeten, bevor sie zerplatzte und ihre Eingeweide an den Fels spritzten. Gedankenverloren tauchte er den Finger in die Innereien und steckte ihn in den Mund. Er sollte nicht die Räder drehen, das konnte nicht seine Bestimmung sein.
    Er wollte die Traumländer bereisen. Seit er die zweite Häutung vollendet hatte, war das sein Wunsch gewesen: Jahim zu sein. Ein Jäger. Lautloser Schatten, schnell und effektiv. Er wollte die Zeitspiralen durchfliegen, sich mit angelegten Flügeln in die tiefsten Bewusstseinsebenen hinabstürzen und sich bis auf den Grund saugen lassen.
    Szandor hatte seinem Volk die zweifarbige Sonne erjagt und sie am äußeren Rand des Himmels befestigt. Jeden Tag, wenn sich Blau und Rot vermischen und die Berge mit dem Schimmer überziehen, der ihnen ihren Namen gibt, erinnert sich ein jeder an Szandors Namen. Wie oft hatte er diese Geschichte gehört. Und er hatte sie geliebt und liebte sie noch immer, so wie er Szandor liebte. Aber er – Conchúbar – würde etwas noch Bedeutenderes finden. „Conchúbar Jahim“, flüsterte er. Das sollte sein Name sein.
    Er breitete seine Schwingen aus und genoss das Gefühl, als der Wind sich in ihnen fing und ihn fast ohne sein Zutun vom Boden hob. Mehrere Male kreiste er über seinen Brüdern und ließ sich vom Aufwind in kühlere Luftschichten tragen. Wie klein sie aus der Höhe erschienen. Klein und unbedeutend. Aber er würde nicht klein sein wie sie. Sein Schwingenschlag würde den Sand in Stürmen über die Welten treiben und sie formen wie es ihm gefiel.
    Er presste die Flügel eng an seinen Körper und stürzte sich auf einen Habicht, packte ihn mit den Krallen und riss ihn in zwei Hälften; beobachtete wie sein Blut in die Tiefe tropfte, bevor er den Kadaver achtlos fallen ließ. Er tat es, weil er es konnte. Das und noch so viel mehr. Was auch immer sie für ihn vorgesehen hatten, seine Bestimmung war es, ein Jäger zu sein.
    Der Rüzgâr trieb ihn nach Süden, immer weiter hinein in die Leere. Im Zentrum der Leere mussten sich die Eingänge der Zeitspiralen befinden. Schon oft war er den Jahim gefolgt, wenn sie aufgebrochen waren, die Traumländer zu bejagen, und war doch jedes Mal umgekehrt, als die Leere zu beklemmend wurde. Ein Feigling. Aber das war, bevor er seinen neuen Namen trug, bevor er ein Jahim geworden war. Es war die richtige Richtung und er würde sein Ziel erreichen. Er stemmte die Flügel in den Wind, schraubte sich höher in den Himmel hinauf und suchte den Boden nach einem Hinweis ab. Aber da war nur Sand und Sand und noch mehr Sand, der immer farbloser und unwirklicher wurde. Die Kraft der Sonne schien nicht bis hierher zu reichen. Aber warum wurde es dann immer heißer? Und warum war es immer noch hell?
    Er wusste nicht, wie lange er schon flog und suchte, aber wenn er den Eingang nicht bald fand, würde er umkehren müssen, bevor er zu schwach wurde, es aus eigener Kraft bis nach Hause zu schaffen. Umkehren oder sterben.
    Er grub die Krallen in seine Handflächen und schrie bis seine Stimme versagte, und mit dem letzten Ton verebbte der Wind. Conchúbar taumelte langsam dem Boden entgegen. Und dann sah er, wie der Sand auf einen Punkt zufloss, der eine Nuance dunkler erschien als das restliche Sandmeer.
    Ein unausweichlicher Sog zog Conchúbar in das Zentrum des Sandmeeres hinab. Die Luft war ein einziges Flirren und Flimmern, die Hitze unerträglich, jegliche Farbe war aus dem Sand gewichen und doch blendete er wie tausend Sonnen. Das musste der Eingang zu den Zeitspiralen sein, er hatte ihn gefunden, weil es ihm bestimmt war ihn zu finden, weil er auserwählt war, die

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