Kinder der Retorte
Manuel sah erstaunt zu. Er hatte seinen Vater nie zuvor in seinem Leben so zärtlich erlebt.
Aber natürlich war Clarissa etwas Besonderes für den alten Mann: das Instrument dynastischer Nachfolge. Sie sollte durch ihren festigenden Einfluß Manuel dazu bringen, seine Verantwortung zu akzeptieren, und sie hatte auch die Aufgabe, den Namen Krug zu verewigen. Es war paradox: Krug behandelte seine Schwiegertochter, als wäre sie eine zerbrechliche Porzellanpuppe, doch er erwartete mit unverschämter Selbstverständlichkeit, daß sie ihm starke Enkel gebären würde, um sich und seinen Namen fortzupflanzen.
Zu seinen Gästen sagte Krug: »Zu schlimm, daß wir die Besichtigung auf diese Weise beenden müssen. Aber zumindest haben wir alles gesehen, bevor es geschah. Senator, meine Herren, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie gekommen sind, meinen Turm zu sehen. Ich hoffe, Sie kommen wieder, wenn er weiter fortgeschritten ist. Gehen wir jetzt.«
Clarissa schien jetzt etwas beruhigt. Es verdroß Manuel, daß nicht er, sondern sein Vater sie besänftigt hatte.
Er griff nach ihrem Arm und sagte: »Ich denke, Clarissa und ich gehen zurück nach Kalifornien. Ein paar Tage mit mir am Strand, und sie wird sich wohler fühlen. Wir…«
»Du wirst heute nachmittag in Duluth erwartet«, sagte Krug eisig.
»Ich…«
»Schicke nach den Hausandroiden. Sie sollen sie abholen«, sagte er. »Du besichtigst die Fabrik.« Sich von Manuel abwendend, nickte Krug seinen aufbrechenden Gästen zu und sagte zu Leon Spaulding: »New York. Oberes Büro.«
*
11.38 Uhr, am Turm. Fast alle waren jetzt gegangen; Krug, Spaulding, Quenelle und Vargas zurück nach New York, Fearon und Buckleman nach Genf, Maledetto nach Los Angeles und Thor Watchman nach unten, um sich um die verletzten Androiden zu kümmern. Zwei von Manuels Hausbetas waren eingetroffen, um Clarissa zurück nach Mendocino zu bringen. Kurz bevor sie die Transmatkabine mit ihnen betrat, umarmte Manuel sie, küßte sie auf die Wange.
»Wann kommst du?« fragte sie.
»Am frühen Abend, denke ich. Wir haben eine Verabredung in Hongkong, glaube ich. Ich werde rechtzeitig zurück sein, um mich für das Dinner umzuziehen.«
»Nicht früher?«
»Ich muß Duluth besichtigen, die Androidenfabrik.«
»Drück dich davor.«
»Ich kann nicht. Du hast ja gehört, wie er sagte, daß ich gehen soll. Im übrigen hat der Alte recht: es ist Zeit, daß ich sie mir einmal ansehe.«
»Wie langweilig, einen Nachmittag in einer Fabrik!«
»Ich muß. Schlaf gut, Clarissa. Ich wünsche dir, daß du die häßliche Sache, die hier passiert ist, vergessen hast, wenn du aufwachst. Soll ich einen Löschimpuls für dich programmieren lassen?«
»Du weißt, ich hasse es, wenn mein Gedächtnis manipuliert wird, Manuel.«
»Ja. Es tut mir leid. Du gehst jetzt besser.«
»Ich liebe dich«, sagte sie.
»Ich liebe dich«, sagte er zu ihr. Er winkte den Androiden. Sie nahmen sie bei den Armen und führten sie in die Transmatkabine.
Er war allein, abgesehen von einigen unbekannten Betas, die angekommen waren, um während der Abwesenheit Watchmans das Kontrollzentrum zu übernehmen. Er ging an ihnen vorbei in Watchmans Privatbüro im Hintergrund der Kuppel, machte die Türe hinter sich zu und schaltete das Telefon ein. Der Schirm leuchtete auf. Manuel tippte die Rufnummer des Zerwürflercodes, und der Schirm antwortete mit dem abstrakten Muster, das ihm anzeigte, daß Vertraulichkeit garantiert war. Dann wählte er die Nummer von Lilith Meson, Alpha, im Androidenviertel von Stockholm.
Liliths Bild erschien auf dem Schirm: eine Frau von elegantem Körperbau mit glänzendem blau-schwarzen Haar, einer klassischen Nase und Platinaugen. Ihr Lächeln war verwirrend. »Manuel? Von wo aus rufst du an?« fragte sie.
»Vom Turm. Ich werde später kommen.«
»Sehr spät?«
»Zwei oder drei Stunden.«
»Ich werde vergehen vor Sehnsucht.«
»Ich kann es nicht ändern, Lilith. Ihre Majestät hat mir befohlen, die Androidenfabrik in Duluth zu besichtigen. Ich muß es tun.«
»Obwohl ich meine Wochenschicht gewechselt habe, um heute nacht mit dir zusammen zu sein?«
»Ich kann ihm das nicht sagen«, erwiderte Manuel. »Sieh, es ist nur für ein paar Stunden. Wirst du mir verzeihen?«
»Was kann ich sonst tun? Aber wie dumm, in Bottichen schnüffeln zu müssen, wenn du…«.
»Noblesse oblige, mein Schatz. Außerdem bin ich ein wenig neugierig geworden auf die Entstehung der Androiden, seit du und ich… seit wir…
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