Kinder der Retorte
Angeles, Honolulu, Auckland, Brisbane, Singapur, Pnom-Penh, Kalkutta, Mekka. Man benötigte keine Visa in der Transmatwelt, keine Pässe; solche Dinge waren absurd im Transmat-Zeitalter. Die Sonne rollte mühsam mit knapp siebzehnhundert Stundenkilometern über den Himmel; die springenden Reisenden ließen sie hinter sich zurück. Obwohl sie fünfzehn Minuten hier, zwanzig Minuten dort Halt machten, um einen Cocktail zu trinken, kleine Souvenirs zu kaufen oder berühmte Monumente der Antike zu besuchen, gewannen sie ständig Zeit, stießen immer weiter rückwärts in die vorangegangene Nacht vor, überholten die Sonne, während sie um den Globus dem Freitagabend entgegenrasten. Natürlich verloren sie alles, als sie die Datumslinie überquerten, und wurden in den Samstagnachmittag geschleudert. Doch sie machten den Verlust wieder wett, indem sie nun westwärts reisten, und als sie wieder zum Kilimandscharo kamen, war es noch nicht elf Uhr des Samstag morgens, an dem sie gestartet waren, aber sie hatten die Erde umkreist und anderthalb Freitage erlebt. So etwas konnte man mit dem Transmat tun. Man konnte auch, wenn man seine Sprünge sorgfältig plante, zwei Dutzend Sonnenuntergänge an einem einzigen Tag sehen, oder sein ganzes Leben unter der Glut eines ewigen Mittags verbringen. Dennoch tat es Manuel, als er um 11.40 Uhr in New York ankam, leid, einen Teil des Vormittags dem Transmat geopfert haben zu müssen.
Sein Vater begrüßte ihn in seinem Büro förmlich mit einem Händedruck und umarmte Clarissa väterlich. Leon Spaulding hielt sich unbehaglich im Hintergrund. Quenelle stand am Fenster, allen den Rücken kehrend, und beobachtete das Treiben in der City. Manuel kam nicht gut mit ihr aus. Er mochte die Mätressen seines Vaters im allgemeinen nicht. Der alte Mann wählte jedesmal den gleichen Typ: volle Lippen, volle Brüste, pralles Gesäß, feurige Augen, breite Hüften, kurz, bäuerliche Rasse.
Krug sagte: »Wir warten auf Senator Fearon, Tom Buckleman und Dr. Vargas. Thor wird uns den Turm zeigen. Was tust du danach, Manuel?«
»Ich habe eigentlich nichts vor…«
»Dann geh nach Duluth. Ich wünsche, daß du alles kennenlernst über den Fabrikbetrieb dort. Leon, benachrichtige Duluth: mein Sohn trifft am frühen Nachmittag ein zu einer Besichtigung.«
Spaulding entfernte sich. Manuel hob die Schultern. »Wie du wünschst, Vater.«
»Es ist Zeit, deine Verantwortlichkeit zu erweitern Junge. Deine Führungsfähigkeiten zu entwickeln. Eines Tages wirst du der Boß von alledem hier sein. Eines Tages werden sie d i ch meinen, wenn sie Krug sagen.«
»Ich will versuchen, dem Vertrauen gerecht zu werden, das du in mich setzt«, sagte Manuel.
Er wußte, er täuschte seinen Vater nicht mit seinen Redensarten, und dessen Zurschaustellung von väterlichem Stolz täuschte ihn nicht. Manuel war sich der tiefen Verachtung seines Vaters für ihn bewußt. Er konnte sich selbst mit seines Vaters Augen sehen: ein Tunichtgut, ein alternder Playboy. Sein eigenes Bild von sich war jedoch: empfindsam, mitfühlend, zu kultiviert, um in der lärmenden brutalen Arena des Big-Business aufzutreten. Dann drängte sich ihm ein anderes, vielleicht echteres Bild von Manuel Krug auf: leer, ernst, idealistisch, oberflächlich, unfähig. Welcher war der richtige Manuel? Er wußte es nicht. Er wußte es nicht. Er verstand sich immer weniger, je älter er wahrscheinlich wurde.
Senator Fearon trat aus dem Transmat.
Krug sagte: »Henry, Sie kennen doch meinen Sohn Manuel… den zukünftigen Krug. Krug junior, den Erbprinzen.«
»Es ist viele Jahre her«, sagte Fearon. »Manuel, wie geht es Ihnen?«
Manuel berührte die kühle Hand des Politikers. Es gelang ihm ein freundliches Lächeln. »Wir haben uns vor fünf Jahren in Makao kennengelernt«, sagte er liebenswürdig. »Sie waren unterwegs nach Ulan Bator.«
»Ja richtig. Natürlich! Was für ein glänzendes Gedächtnis Sie haben! Krug, einen wunderbaren Jungen haben Sie da!« rief Fearon bewundernd und bleckte grinsend die Zähne.
»Abwarten«, sagte Krug. »Wenn ich abtrete, wird er Ihnen zeigen, wie ein richtiger Reichsverweser operiert!«
Manuel hustete und blickte verlegen zur Seite. Seine dynastische Zwangsvorstellung veranlaßte den alten Krug, ständig so zu tun, als sei sein einziges Kind auch der richtige Erbe für das Riesengebilde von Unternehmungen, die er gegründet oder geschluckt hatte. Daher rührte auch seine ständig zur Schau gestellte Sorge um Manuels
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