Kinder der Stürme
glauben macht, sich von den anderen zu unterscheiden. Sie halten sich für eine Gesellschaft in der Gesellschaft. Aber ich kenne auch die Menschen, die die Flieger ‚Landgebundene’ nennen und die sie ebenso für eine große Familie halten wie die Flieger.“
Er stellte seine Teetasse ab und nahm seine Gitarre zur Hand.
„Du weißt, wie verächtlich die Flieger die Landgebundenen behandeln, Maris“, sagte er. „Ich glaube, du hast noch nicht bemerkt, wie empfindlich die Landgebundenen gegenüber den Fliegern reagieren.“
„Ich habe landgebundene Freunde“, sagte Maris. „Und alle Einflügler haben einmal als Landgebundene begonnen.“
Coll seufzte. „Ja, es gibt welche, die die Flieger anbeten. Herbergsbesitzer, die ihr Leben ganz in den Dienst der Flieger stellen, Kinder, die die Flügel eines Fliegers berühren möchten, Anhänger, denen es ein besonderes Vergnügen bereitet und die ihren Status dadurch verbessern, daß sie mit einem Flieger ins Bett gehen. Aber es gibt auch andere. Es gibt Landgebundene, die keinen Wert auf die Freundschaft eines Fliegers legen, Maris.“
„Ich weiß, daß es Probleme gibt. Ich habe die Feindseligkeit, die Val entgegenschlug, als er seine Flügel bekam, nicht vergessen. Und die Drohungen, die Schläge und die Kälte. Aber die Dinge ändern sich, zumal jetzt, wo nicht mehr die Geburt allein die Gesellschaft der Flieger begrenzt.“
Coll schüttelte den Kopf. „Es ist noch schlimmer geworden. Früher, als die Herkunft noch eine Rolle spielte, glaubten die Leute, Flieger wären etwas Besonderes. Auf vielen Inseln im Süden sind die Flieger Priester, eine besondere Kaste, die vom Himmelsgott gesegnet wurde. In Artellia sind sie Prinzen. So wie die Landmänner im Osten ihre Macht von ihren Eltern erben, so erbten die Flieger ihre Flügel.
Heute würde niemand mehr den Fehler begehen, zu glauben, die Flieger wären von Gott auserwählt. Plötzlich gibt es neue Fragen. Wie konnte dieses schmutzige Bauernkind, mit dem ich aufwuchs, plötzlich so mächtig und angesehen werden? Was trennt es von seinem früheren Nachbarn? Was gibt ihm die Freiheit, die Macht und den Reichtum eines Fliegers? Diese Einflügler stehen nicht soweit abseits, wie die traditionellen Flieger, manche herrschen über ihre alten Freunde, oder sie mischen sich in lokale Ereignisse ein. Sie ziehen sich nicht völlig aus der Politik der Inseln zurück. Sie haben Interesse an ihrer Heimat. Und das schafft Probleme.“
„Vor zwanzig Jahren hätte es kein Landmann gewagt, einen Flieger gefangenzunehmen“, sagte Evan nachdenklich. „Aber hätte vor zwanzig Jahren ein Flieger gewagt, eine Botschaft abzuändern?“
„Natürlich nicht“, sagte Maris.
„Deswegen wundere ich mich, wie viele Menschen das glauben“, fügte Coll hinzu.
„Jetzt, da es passiert ist, wird vielen bewußt, daß es vielleicht schon früher geschehen ist. Jene Bauern, die ich belauscht habe, waren davon überzeugt, daß die Flieger die Nachrichten jahrelang abgeändert haben. Nachdem was ich gehört habe, sieht man den Landmann von Thayos als Helden an, weil er die Wahrheit ans Licht gebracht hat.“
„Ein Held?“ sagte Evan erstaunt.
„Wegen einer gutgemeinten Lüge kann sich doch nicht alles ändern“, sagte Maris hartnäckig.
„Nein“, sagte Coll. „Der Wandel findet schon seit langem statt. Und du bist schuld daran.“
„Ich? Damit habe ich nichts zu tun.“
„Nein?“ Coll grinste sie an. „Denk darüber nach. Barrion hat mir einmal eine Geschichte erzählt, große Schwester. Über ihn und dich. Ihr wart mit einem Boot unterwegs und habt nur darauf gewartet, Corm die Hügel zu stehlen, damit du deine Versammlung einberufen konntest. Erinnerst du dich?“
„Selbstverständlich erinnere ich mich!“
„Nun, er erzählte mir, ihr wäret dort eine ganze Weile getrieben und hättet darauf gewartet, daß Corm sein Haus verläßt. Und während ihr gewartet habt, hat Barrion darüber nachgedacht, was ihr vorhattet. Er hat sich mit einem Messer die Fingernägel gereinigt, und dann fiel ihm ein, daß es möglicherweise das beste wäre, das Messer gegen dich zu gebrauchen. Es hätte Windhaven vor einem Chaos bewahrt, sagte er. Denn wenn du gewinnen würdest, gäbe es mehr Änderungen, als du dir vorstelltest und viele Generationen würden darunter leiden. Barrion hat sehr viel von dir gehalten, Maris, aber er hielt dich auch für naiv. Man kann nicht mitten im Lied eine Note ändern, hat er zu mir gesagt. Wenn man
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