Kinder des Wassermanns
hatte. War daran der Entschluß Herrn Carolus, ihres Bruders, schuld, in Kroatien zu bleiben? Zwei oder drei Seeleute glaubten immer noch, sie springe des Nachts über Bord, um sich in den Wellen zu vergnügen. Doch gab es keinen Augenzeugen dafür, und die meisten hielten es für ausgeschlossen. Sie sprachen von ihrer Frömmigkeit; jetzt schloß sie sich den anderen zum Gebet an, und sie war darin die eifrigste Person an Bord. Stunden verbrachte sie auf den Knien vor dem Bild der Jungfrau unter dem Achterdeck, und oft flossen ihr dabei Tränen über die Wangen. Gleichzeitig war sie auch nicht mehr kurz angebunden und hochmütig, sondern gewann sich durch ihr sanftes Wesen und ihre Bereitschaft, auch den Niedrigsten unter ihnen anzuhören, schnell die Liebe aller. Für einige wurde sie fast zur Beichtmutter.
Kapitän Asbern hatte seine Bedenken gehabt, so spät im Jahr noch Segel zu setzen. Er fuhr vorsichtig, so nahe an der Küste, wie ratsam war, und strebte beim ersten Anzeichen von Sturm auf den nächsten Hafen zu. Folglich erreichte er Dänemark erst kurz vor Weihnachten. Aber sie waren jeder Gefahr entgangen und hatten nicht mehr Mühsal gehabt, als Seeleute gewohnt sind.
Am Festtag Adams legte die
Brynhild
um die Mittagszeit in Kopenhagen an. Als der Hafenmeister erfuhr, wem sie gehörte, schickte er ihrem Eigentümer durch einen Jungen Nachricht.
Schneeflocken trieben dünn aus einem bereits dämmrigen Himmel. Die Luft war mild und feucht. Zwischen den Mauern und Arkaden, unter den überhängenden Galerien bewegte sich kaum Verkehr, aber erhellte Fenster, aufsteigender Rauch, würzige Düfte, Lachen und Singen verrieten, daß die Leute in den Häusern sich darauf vorbereiteten, den Geburtstag Unseres Herrn zu ehren. Diese zwölf Tage würden inmitten der finsteren Höhle, die der Winter war, wie eine riesige Kerze brennen.
Matsch spritzte unter den Hufen der Maultiere, die der Mann und die Frau ritten. Vor ihnen gingen zwei bewaffnete Fackelträger, in hohen Stiefeln gegen den Dreck geschützt. Die Flammen flackerten und sprühten Funken und warfen kurzlebige Sterne zwischen die Schneeflocken.
»Wir haben nur noch für ein paar kurze Worte Zeit, bevor wir dein Haus erreichen«, erinnerte sie ihn. »Die ganze Geschichte zu erzählen, wird Tage dauern.« Sie dachte nach. »Nein, Jahre – oder eine Lebensspanne –, um es recht zu verstehen.«
»Wir werden diese Lebensspanne haben, wir beide«, meinte Niels glücklich.
Ihre Hand schloß sich fester um die Zügel, als nötig war. »Es wird nicht leicht sein. An diesem ersten Abend ... ich fürchte ... Wie ... was ... soll ich Ingeborg sagen? Hilf mir nachdenken, was sie am wenigsten verwunden wird.«
Er fuhr zusammen. »Ich hatte es vergessen.«
»Mach dir keine Vorwürfe. Freude wird so leicht selbstsüchtig. Früher hätte ich derlei vergessen.«
»Eyjan ...«
»Ich bin Dagmar.«
Er bekreuzigte sich. »Konnte ich dein eigenes Wunder vergessen? Gott verzeihe mir!«
»Es wird nicht leicht für uns sein«. wiederholte sie. »Du mußt mit mir notwendigerweise mehr Geduld haben als die meisten Männer mit ihren Frauen, weil ich in Fleisch und Geist zur Hälfte eine Meerfrau bin.«
»Und zur anderen Hälfte eine Heilige«, antwortete Niels. Eine Andeutung seines alten Grinsens blitzte auf.
»Das
wird mich hart ankommen.«
»Nein, sag so etwas nicht«, bat Dagmar. »Wahrscheinlich wirst du feststellen, daß ich starrköpfig und aufbrausend bin und daß es mir an der richtigen weiblichen Demut fehlt, so sehr ich mich auch darum bemühen will.« Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Aber, oh, Niels, niemals werde ich in meiner Liebe zu dir nachlassen.«
Er wurde ernst, faßte ihre Hand und sah sie durch Schnee und trübes gelbes Licht forschend an. Endlich fragte er leise: »Liebst du mich wirklich, Dagmar? Du magst mich gern, ja, das weiß ich, und ich habe kein Recht, mehr zu verlangen. Aber ...«
»Ich gebe mich dir, wenn du mich haben willst«, sagte sie in völliger Aufrichtigkeit. »Mein innerstes Herz mußt du dir noch gewinnen, aber ich bete darum, daß es dir gelingt, und auch bei dieser Suche werde ich an deiner Seite sein.«
10
Ingeborg Hjalmarstochter war eine jütische Frau von ungefähr dreißig Wintern. Im zeitigen Frühjahr kam sie in Hornbaek an, einem Fischerdorf an der Nordküste von Seeland, auf dem Küstenweg einen Tagesritt von Kopenhagen entfernt. Von den Männern, die vor ihr dagewesen waren, ein Häuschen für sie
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