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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Flammen loderten immer höher, und jetzt bekam auch Kraus Angst. Der ätzende Gestank von brennendem Gummi stieg ihm in die Nase. Während er sich nach einem Fluchtweg umsah, bemerkte er, wie von Hessler heftig hustete und dann ein Fenster mit einem Stuhl zertrümmerte. Er sprang auf das Fenstersims, drehte sich um, zielte und fluchte. »Verdammt, Kraus!« Dann feuerte er zweimal, bevor er sprang. Eine Kugel zischte nur Zentimeter an Kraus’ Ohr vorbei, während von Hessler in einem Wirbelwind aus Rauch durch das Fenster verschwand.
    Kraus rannte zum Fenster, ebenfalls hustend, steckte den Kopf nach draußen und blickte nach unten. Auf dem Bürgersteig hatten sich Schaulustige versammelt, aber keine regungslose Gestalt lag zerschmettert auf dem Boden. Die Menschen starrten nach oben, zu ihm. Das Ende der Kette, die er zuvor im Wind hatte schaukeln sehen, hing in einem offenen Fenster unter ihm. Offenbar war das von Hesslers Fluchtroute. Die hintere Treppe war zwar immer noch frei von Feuer, das konnte Kraus erkennen, aber bis zum Erdgeschoss gab es keinen Weg in den Turm hinein, und er würde nicht ohne die Jungs hier weggehen.
    Kraus sprang auf das Fenstersims und gab seinem Impuls nach, einen Blick über die Schulter zurückzuwerfen. Er bereute es sofort. Die kleinen Jungen, die in ihren gläsernen Kabinen gefangen waren, zappelten wie verrückt auf ihren Stühlen, als die Flammen immer näher kamen.
    Kraus dachte an Erich, schob rasch die Luger in seine Tasche und sprang. Er klammerte sich an der Kette fest und kletterte dann hinunter, die Füße gegen die Außenwand gestemmt. Er war zwar erleichtert, dass er sich von den Flammen entfernen konnte, aber der Schmerz in seiner Schulter, wo von Hesslers Kugel ihn getroffen hatte, beeinträchtigte ihn. Er konzentrierte sich auf das offene Fenster unter ihm, kämpfte gegen die schnell zunehmenden Schmerzen an. Schließlich jedoch wurden sie, als sich Kraus noch etwa einen halben Meter über der Öffnung befand, so heftig, dass die Muskeln seines Arms an der verletzten Schulter einfach aufgaben. Er verlor seinen Halt und baumelte wie ein Affe an einem Arm drei Stockwerke über dem Bürgersteig. Die Zuschauer unter ihm schrien vor Entsetzen.
    Kraus versuchte, trotz des Schweißes, der ihm von der Stirn in die Augen lief, etwas zu erkennen, holte tief Luft und befahl sich, auszuhalten. Schließlich war er schon in weit gefährlicheren Situationen gewesen, obwohl ihm, nach einem kurzen Blick hinab, auf Anhieb keine einfallen wollte. Doch, diese Nacht vor Soissons, rief er sich ins Gedächtnis, während er den genauen Winkel zu finden versuchte, den er brauchte, um das Fenster zu erreichen. Er war mit seiner Abteilung auf freiem Gelände zwischen Artilleriefeuer der eigenen und der feindlichen Seite geraten. Sie hatten einfach Glück gehabt. Hier jedoch hatte er wenigstens ein Wörtchen mitzureden, was sein Schicksal anging, das hoffte er jedenfalls. Kraus schwang sich mit der Kette, so fest er konnte, herum und versuchte, den gemauerten Sims mit dem Fuß zu erreichen. Aber er war zu weit weg. Und es war viel zu anstrengend. Sein linker Arm drohte sich zu verkrampfen. Kraus zappelte an der Kette und hoffte, genug Schwung zu erzeugen, um durch die Öffnung zu kommen. Es gelang ihm, sich einmal kräftig von der Wand abzustoßen, sodass er einen ziemlich guten Winkel erwischte, doch plötzlich spürte er, dass er die Kette nicht mehr festhielt.
    Als Nächstes wurde er von einem gewaltigen Aufprall erschüttert. Es war jedoch nicht der Bürgersteig, sondern der Boden in dem Raum hinter dem Fenster, auf dem er gelandet war. Offenbar hatte er sich weit genug geschwungen, so dass er durch das Fenster geflogen war. Dankbar, wenn auch voller Schmerzen, rollte er sich auf dem Boden ab.
    Allmählich kehrte seine Sehkraft zurück, und was er erkannte, erinnerte ihn an eine Krankenhausstation ... zahlreiche Betten, in denen regungslose Gestalten lagen, die an Schläuchen angeschlossen waren. Über ihm fauchten die Flammen, Rauch quoll durch die Ritzen der Decke. Dann schlug mit einem lauten Knall eine Kugel unmittelbar neben ihm in die Wand ein.
    »Sie sind erledigt, Kraus!«, meinte von Hessler von der anderen Seite des Zimmers. »Sie und all die anderen Dinosaurier.«
    Kraus feuerte auf ihn und warf dabei einen kurzen Blick auf das nächste Bett. Es war weder Erich noch Heinz, sondern nur irgendein unschuldiges Kind, das mit geschlossenen Augen dort lag. Offenbar betäubt. Der

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