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Kindersucher

Kindersucher

Titel: Kindersucher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grossman
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Helga.«
    Die Zigarette fiel ihr aus dem Mund und auf den Boden. »Was?«
    »Woher haben Sie die Lampe?«
    »Von ihr!« Helga tastete blindlings mit der Hand nach ihrer Zigarette. »Vor vier oder fünf Jahren. Es war ein Weihnachtsgeschenk.«
    Während Kraus zusah, wie sie nach der Zigarette suchte, und der Teppich allmählich zu schwelen begann, fielen erneut Puzzleteile in seinem Kopf zusammen.
    Ochse und Hirtin steckten in dieser Sache unter einer Decke.

ZWANZIG

    Die Lehre mochte in Wien das Licht der Welt erblickt haben, doch es war Berlin, das die Freudsche Psychoanalyse sehr schnell vereinnahmt hatte. In dem Jahrzehnt nach dem Krieg war das Psychoanalytische Institut Berlin zum unbestrittenen internationalen Hort der Bewegung geworden. Dort arbeiteten so illustre Wissenschaftler wie Karen Horney, Theodor Reik, Wilhelm Reich und Melanie Klein, und das Institut hatte nicht nur die Erforschung des Unbewussten vorangetrieben, sondern war auch die erste Institution, die neue Generationen von Analytikern ausbildete. Sie bot sogar eine kostenfreie, klinische Behandlung für diejenigen an, die sie sich sonst nicht hätten leisten können. Kraus kannte mehr als eine gequälte Seele, von der er sich bei Gott wünschte, sie würde dieses Angebot annehmen.
    Nachdem er in dem Gebäude an der Wichmannstraße angekommen war, stürmte er die Treppe hoch, wobei er zwei Stufen auf einmal nahm. Sein hagerer, übersprudelnder Cousin Kurt war eine der aufstrebenden Berühmtheiten hier. Jetzt saß er in seinem sonnigen Büro, während Kraus ihn mit der letzten, entsetzlichen Wendung des Falles vertraut machte, lehnte sich dann in seinem Ledersessel zurück und nahm langsam seine Brille ab.
    »Ich habe den Eindruck, Willi«, Kurt seufzte und zog ein Taschentuch heraus, »dass der Kinderfresser dadurch, dass er diese Kinder erst auseinandernimmt und dann wieder zusammennäht«, er putzte hingebungsvoll die Gläser seiner Brille, »wahrscheinlich versucht, seine eigene gebrochene Seele zusammenzuflicken. Du musst verstehen, ein wirklicher Schizoider besitzt keinen einheitlichen Persönlichkeitskern. Diese Leute drohen ständig auseinanderzufallen. Selbst die kleinste Zurückweisung kann sie in Stücke brechen lassen.«
    Wehe, man gab ihr das Gefühl, sie wäre unerwünscht. Kraus hörte die Stimme der Hohepriesterin, als sie Ilse beschrieb. Dann lief sie praktisch Amok.
    »Um einen solch verheerenden Angriff gegen seine Person abzuwehren, zum Beispiel die Anschuldigung, er wäre wertlos«, Kurt setzte die Brille wieder auf, »könnte ein Schizoider möglicherweise danach streben, eine Persönlichkeit zu entwickeln, die unübertrefflich nützlich ist. Im konkreten Fall würde er vielleicht so weit gehen, zwanghaft die Körperteile seiner Opfer in etwas von Wert zu verwandeln, in Essen oder Kleidung. Höchstwahrscheinlich ist das eine ritualisierte Wiederholung der Qualen, die er selbst einst erduldet hat. Ich vermute, unser Mörder muss sich als Kind gefühlt haben, als wäre er praktisch in Einzelteile zergliedert. Als würde er bei lebendigem Leib gefressen. Obwohl«, er rieb sich besorgt das Kinn, »wenn tatsächlich mehr als eine Person in diese Angelegenheit verwickelt sein sollten, unterminiert das meine These möglicherweise ein wenig.«
    Nicht unbedingt, dachte Kraus. Zum Beispiel, wenn diese Leute Geschwister sind.
    Der Ochse hatte gesagt, die Taschen wären von seiner Schwester hergestellt worden.
    In zwei Jahren harter Arbeit.
    »Das hier sind keine Zwangsjacken-Fälle, Kurt. Diese Leute laufen da draußen frei herum und betreiben eine Art von Geschäft. Sie operieren dabei direkt vor unserer Nase, und das seit Jahren. Ich habe das Gefühl, dass sie möglicherweise sogar verwandt sein könnten: Bruder und Schwester.«
    »Das wäre höchst ungewöhnlich.« Kurts Ledersessel knarrte. »Aber ganz gewiss nicht außerhalb des Bereichs des Möglichen. Es gibt sehr viele Schizoide, die sich nach außen hin als engagierte, interaktive Persönlichkeiten geben, Willi. Darum geht es ja gerade. Sie wirken interessiert, sehen einen ganz normal an. Innerlich jedoch sind sie vollkommen distanziert von allem ...« Kurt beugte sich vor und kniff hinter seinen sauberen, klaren Brillengläsern die Augen zusammen. »Die äußere Realität flößt ihnen nicht nur Angst ein, Willi. Sondern sie ist für sie wirklich lebensbedrohlich. Ihr Sozialverhalten ist reiner Überlebensinstinkt. Animalische Mimikry.«

    »Hermann Braunschweig?« Vicki ließ

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