Kindersucher
von Gunther. Das flackernde Licht brennender Fackeln fiel auf die Umrisse von ... Ketten. Von Käfigen. Und von Schandpfählen.
Der brave Gunther hatte heute eine ganze Menge zu sehen bekommen. Jungen mit Make-up. Juden im Kaftan. Er hatte alles mit bewundernswerter Gelassenheit aufgenommen. Aber diesmal stieß er ein hörbares »Mein Gott!« hervor.
Drei Frauen in Schulmädchen-Uniformen waren nebeneinander auf einem Bett gefesselt, reckten ihre nackten Hinterteile in die Luft und hatten ein Tuch im Mund, das ihre Schreie ein wenig dämpfte, während ein Lederpaddel ihnen klatschend die nackten Kehrseiten versohlte. Ihre Pobacken waren geschwollen und leuchteten rot. Die Schläge verabreichte ihnen eine »Rektorin« mit einer schwarzen, dicken Brille und Tweedkostüm. Brigitta.
»Sie!«, schrie sie, als sie Kraus sah. »Was zum Teufel fällt Ihnen ...!«
»Schnauze!« Helga erhob sich von einem Stapel Kissen, auf denen sie offenbar die Show genossen hatte, während sie Kirschen naschte. Sie wischte sich die Finger ab und stolzierte zu ihnen auf silberfarbenen Pumps und in einem hautengen, rückenfreien Gewand. Als sie an Brigitta vorbeikam, gab sie ihr eine schallende Ohrfeige. »Wie oft muss ich es dir noch sagen ... Autorität wird respektiert. Immer. Und jetzt raus. Alle.«
Enttäuscht murrend befreiten sich die Frauen von ihren Fesseln, nahmen sich die Knebel aus dem Mund und trollten sich. Brigitta warf ihre Rektorinnen-Brille aufs Bett und bedachte Kraus mit einem giftigen Blick, bevor sie den drei anderen Frauen folgte. Kraus sah in dem flackernden Licht der Fackeln, dass Helga sichtlich amüsiert war.
»Wir haben uns erst ein bisschen aufgewärmt, Herr Kriminalsekretär. Sie hätten in einer Stunde kommen sollen.« Sie zündete sich eine Zigarette an und betrachtete ihn mit erhobenen Brauen. »Sie sind jederzeit willkommen. Ja, warum eigentlich nicht? Bringen Sie Ihr kleines Dämchen ruhig mit.« Sie blies Gunther den Rauch ins Gesicht. »Was bist du denn für ein hübscher Bursche? Und wie groß er ist ...«
»Das ist unwichtig«, unterbrach Kraus sie, als er sah, wie Gunthers Gesicht noch leuchtender rot aufflammte als die malträtierten Gesäße der Damen. »Hinauf mit Ihnen und zwar sofort.«
Helga saß in dem ganz in Chrom und Leder eingerichteten Raum, wo sie sich zum ersten Mal begegnet waren, an ihrem Frisiertisch und verdrehte genervt die Augen. Sie machte das Beste aus der Situation, nahm ihren silbernen Kamm und frischte ihre Frisur in dem dreiflügeligen Spiegel ein wenig auf.
Gunther schwitzte und zückte Notizbuch samt Bleistift.
»Beschreiben Sie mir Ilses Aussehen«, forderte Kraus sie auf.
»Dürr und hässlich.« Helga seufzte, glättete ihre platinblonden Wellen und schien es sich dann anders zu überlegen. »Nein, eigentlich war sie nicht wirklich hässlich.« Sie kniff die Augen zusammen und dachte nach. »Ihre Gesichtszüge waren ganz in Ordnung. Sie besaß sogar einen gewissen Charme. Aber diese Haut.« Sie ließ den Kamm sinken und drehte sich zu Kraus herum. »Ich habe vermutet, dass sie als Kind schreckliche Akne gehabt haben muss, aber man bekam aus Ilse ja nie irgendetwas heraus. Ich habe ihr schließlich gezeigt, wie sie die Narben mit einer guten Creme überdecken konnte. Und mit dem richtigen Lippenstift und etwas Mascara ... Mein Gott, was starren Sie da eigentlich die ganze Zeit an, Herr Kriminalsekretär?«
»Ihre Schreibtischlampe.«
Kraus sah, wie das Blut aus Helgas Wangen wich. »Warum?« Sie drückte ihre Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an. »Was ist daran so faszinierend?«
Von seinen Rundgängen in den Salzereien wusste er, wie viele verschiedene Ledertypen man herstellen konnte. Eine einzelne Kuhhaut konnte hart und fest gemacht werden, damit man sie für Schuhsohlen verwenden konnte, oder weich und geschmeidig, für Jacken und Handschuhe. Man konnte sie in jedem beliebigen Farbton färben oder sie so dünn schneiden, dass sie beinahe durchsichtig wirkte. Den Unterschied machte nur, mit welchen Chemikalien man sie behandelte oder wie man sie färbte.
»Dieser kleine rote Indianerkopf ist wirklich sehr ungewöhnlich. Aus was besteht dieser Lampenschirm?«
»Woher soll ich das wissen?« Helga stieß den Rauch durch die Nase, als sie endlich die Lampe eines Blickes würdigte. »Sie spendet ein sehr schönes, diffuses Licht, das ist das Einzige, was mich kümmert. Sie verleiht meinem Teint eine gesunde ...«
»Es ist Menschenhaut,
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