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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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sich von ferne, drängeln durch den Fensterspalt. Von ferne? Vom Kiosk.
    Der Antiquar. Unverbesserlich. Ach was. Hat sie im Stich gelassen, war nicht der einzige. Hat er bestimmt vergessen. Weiß sicher nicht mehr, daß es sie gibt. Würde sie nicht wiedererkennen. Hat sich einen Dreck gekümmert. Genau wie Jakob. Soll in Frieden ruhen. Schluß damit. Alle sollen sie in Ruhe lassen, erst recht diese verdammten Walküren.
    Schnell schlägt sie das Fenster zu. Sie muß an die Luft, sie braucht ein Bier. Eins? Verfluchter Kattenbug, sie hätte nicht wieder herkommen sollen. Man kehrt nicht als derselbe zurück, wenn man lange unterwegs war. Verfluchter Jakob. Nur raus. Auch Erinnerungen sind Illusionen. Sie hat genug davon. Das hat sie mit dem Antiquar gemeinsam. Am Drogeriemarkt vorbei taucht sie ab in die nächste Gasse. Raus aus der Vergangenheit.
    Zur Zeit vom Antiquar war der Laden, der jetzt Drogeriemarkt ist, angefüllt mit schiefen Regalwänden. Bis unter die Decke und in den letzten Winkel des Lagers hinein. Bücher, nichts als Bücher standen darin, die nach Staub und Schimmel gerochen haben, und der Antiquar hockte dazwischen wie der Hüter des verlorenen Schatzes, mit gelbweißer Mähne und mißvergnügtem Lächeln, immer schweigsam und verschlossen. Kein Mensch weiß, wie er davon hat leben können, nur der Antiquar, aber der findet, daß es darüber nichts zu erzählen gibt. Auch nicht darüber, warum er den Laden vor knapp einem Jahr, kurz nach Jakobs Tod, ratzfatz aufgelöst hat.
    Was Buddy, der Kumpel vom Dachdecker, ihm sehr übelnimmt, denn er war gerne im Laden und hat die Bücher sortiert. Wie er meint. Er hat die aus dem Regal genommen, die auf dem Kopf standen, einmal gestreichelt, umgedreht und wieder hingestellt. Buddy liebt Bücher, weil die Wörter darin ihren geregelten Platz und eine Ordnung haben, anders als in seinem Kopf, da trudeln sie durcheinander und finden keinen Halt und zerfallen auf dem weiten Weg von da oben bis runter in seinen Mund zu wüsten Buchstabenfolgen, die er dann mühsam mit der Zunge zusammensucht, mehr nach ihrem Geschmack als nach der Grammatik.
    Sein Hirn hat eben zu viele Windungen und Sackgassen, in denen die Wörter sich verirren und kaputtgehen. So erklärt er sich das. Die anderen halten ihn für einen Deppen. Schon weil er so ein eingedrücktes Gesicht hat, als hätte einer während der Geburt die Faust mittenrein gepreßt und alles dahin verschoben, wo es nicht hingehört. Was der Wahrheit recht nahe kommt. Aber er ist kein Depp, und der Antiquar hat das gewußt und ihm zugehört. Glaubt Buddy. Manchmal verkriecht er sich auf das Trümmergrundstück neben dem Kiosk und brabbelt gegen die Mauer. Irgendwann muß das doch was werden.
    »Markor«, murmelt Buddy jetzt. Es ist fünf vor zehn und schon lange dunkel. Lenchen schiebt ihm ein Päckchen Marlboro hin und eine Dreiviertelliterflasche Korn, die Hausmarke zu zehnneunzig. Scheint zu stimmen. Buddy streckt die Pranken vor und versenkt beides in die Taschen seiner schmutzigen Zimmermannshose, Erbstück vom Dachdecker, ständig verliert der Buddy seine eigenen Sachen.
    »Schrei au, Da-da.« Aufgeregte Pause, dann angelt er tief aus seinem Rachen noch ein kratziges »CH« wie in Lachen hervor und schließt zu seiner Verwunderung und Freude mit einem ganzen Wort. »Dach«.
    Buddy führt das Wort noch dreimal vor wie einen Tiger, der durch einen brennenden Reifen springt. Lena nickt knapp.
    Ihr geht die Geduld vom Jakob ab, der für Sonderlinge was übrig hatte. »Jaja, ich schreib’s beim Dachdecker an, aber nu mach hin, ich mach gleich dicht.« Sonderlinge waren so eine Art Sammelleidenschaft vom Jakob. Vielleicht liegt das am Geschäft. Nach fünfunddreißig Jahren Kiosk kennst du sie alle, die Halbseidenen und Halbgaren, die Besserwisser und Besserverdiener, die normalen Monster und die monströs Normalen, da bleibt am Ende eine Vorliebe fürs Verschrobene übrig. Jakob liebte nun mal Anekdoten.
    Oben legt der Antiquar noch einmal den Walkürenritt auf, obwohl ihm die Scheiben gestern erst zerschmissen worden sind. Buddy wirft verklärte Blicke hoch, so schön ist das. Er weiß, daß zu der Musik so Geschichten von Drachen dazugehören und von Zwergen, und alles zusammen klingt fast wie Nebel und ist eine richtige Geschichte von ganz von früher, als es so was noch gab. Wofür es Worte gibt, das gibt es auch, ahnt Buddy dunkel. Der Antiquar hat ihm davon erzählt und Bilder gezeigt und Buchstaben, in denen

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