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Kiosk

Kiosk

Titel: Kiosk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Werz
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Prolog
    D a gibt es nichts zu erzählen, würde der Antiquar sagen und den Walkürenritt auflegen. Bei geöffneten Fenstern, damit der ganze Kattenbug es hört. Trostlose Drecksgasse, verrottete. Das macht er so, seit Jakob tot ist, dem der Kiosk unten im Haus gehört hat. Fünf-, sechsmal am Tag die knisternde Schallplatte, manchmal tief in der Nacht.
    Er hat deswegen auch schon vor Gericht gemußt, aber der Richter hat entschieden, daß das fünfmalige Abspielen des Walkürenritts keine Lärmbelästigung ist. Er hing der Theorie an, daß schlechte Filme junge Menschen auf die schiefe Bahn bringen, Wagner hingegen zur Besserung des moralischen Gesamtgefüges beiträgt.
    Was schon am Abend nach Einstellung des Verfahrens, als der Antiquar erneut den Walkürenritt spielt, widerlegt wird. Der alte Grimmkopf hat die Lautsprecher außen auf die Fenstersimse gestellt. Es ist halb acht, und die Walküren reiten mit vollem Orchesterschall auf die gegenüberliegende Hausfassade zu, prallen ab und reiten donnernd, wie mit verdoppelter Wut zurück und immer so hin und her. Der Antiquar steht seitlich zum geöffneten Fenster und dirigiert Schatten an die Wand. Wenig später fliegen Steine, treffen die schräg stehenden Scheiben, Glas zerklirrt, und ein Splitter verletzt den Antiquar über der linken Braue.
    »Pech gehabt, alter Dickschädel«, grölen die Steinwerfer und geben Fersengeld, als unten im Haus die Tür vom Kiosk aufgeht. Kwiatkowski baut sich im Türrahmen auf und schreit »Wichser« in die dämmrige Gasse. Auch nur ein Maulheld, findet der Antiquar und schlägt die zerschmissenen Fensterhälften so hart zu, daß Glas auf Kwiatkowski runterregnet, der ganz freundlich nach oben schaut.
    Trotzdem. Drecksgasse, verrottete. Der Antiquar hebt behutsam den Arm des Plattenspielers, sucht eine Rille, setzt präzis die Nadel auf. Die Walküren nehmen erneut Anlauf. Auf dem Stück Gasse, wo der Antiquar wohnt, hoch oben im Giebel eines schmalen Backsteinhauses, ist der Kattenbug tatsächlich verrottet. Eine alte Gasse. So alt, daß nur die wenigsten Anwohner wissen, warum sie so heißt. Sie wissen nur, was es heißt, auf diesem kurzen Stück vom Kattenbug zu wohnen. Man wird beäugt und belinst oder mit sichtlicher Anstrengung übersehen von denen, die weiter obenan leben. Wer durch Zufall in die Gasse gerät, beschleunigt an dieser Stelle seine Schritte.
    Dabei ist dieses Stück vom Kattenbug das älteste. Vor etwa fünfhundert Jahren wird es das erste Mal in Quellen erwähnt, höchstwahrscheinlich existiert die Gasse seit der Römerzeit. Würde das Geld dazu nicht fehlen, hätten die Denkmalpfleger auf dem Trümmergrundstück neben dem Kiosk schon längst Grabungen vorgenommen. Sie vermuten tief unter der Erde eine Kultstätte für Merkur, Gott der Händler, Diebe und Lügner.
    Man darf bezweifeln, daß das für die Nachbarn vom Antiquar und die Stammkunden von Jakobs Kiosk von Interesse ist oder daß es für sie tröstlich wäre zu wissen, daß Auf dem Kattenbug, so der vollständige Name, nichts anderes als Auf dem Katzenbauch bedeutet und vom Mittelalter herrührt, als hier die Abtrittfeger, Mistschräffler, Darmsaitendreher, Knochenschnitzer und Kadaversammler hausten. Im Dunst der Faulgase, die den gehäuteten und geplünderten Bälgen toter Katzen entstiegen.
    Zwischen geborstenem Kopfsteinpflaster wächst tief unter den Fenstern vom Antiquar sommers das Gras und frieren winters Taubendreck und Hundekot, was im Frühjahr dem Gras zugute kommt. Radfahrer hebt das Buckelpflaster aus dem Sattel, unkundige Autofahrer hüpfen beim Aufprall in den Schlaglöchern auf ihren Sitzen. Und das mitten in Köln, stellen sie kopfschüttelnd fest, bevor sie Gas in Richtung Schnellstraße geben oder kurz anhalten, aus dem Wagen springen und am Kiosk ein Päckchen Marlboro oder die Computerbild kaufen. Hier läßt sich’s gut anhalten, weil von hinten keiner drängelt, und wenn’s einer tut – »Sie schäle Printe, Sie, das ist doch hier keine Rennstrecke« –, dann kratzt das niemanden.
    Nach Schulschluß kommen die Kinder, hängen in Trauben kurz über der Thekenkante und ordern lautstark Brausebonbons, Stangeneis und Sammelbildchen von »Star Wars«. Gegenüber vom Kiosk erinnert ein im zweiten Stock geköpftes Haus noch an den Krieg. Unten ist vor fünfzehn Jahren der letzte Metzger ausgezogen, weshalb die »1 a Teewurst aus eigener Herstellung«, für die ein verblichenes Pappschild wirbt, noch immer neunundvierzig Pfennig

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