Klang des Verbotenen
ordnen lassen.
Wie findet sich eigentlich das Reh in den Gängen zurecht? Es war nicht mehr zu sehen. Jenseits des Labyrinths erstreckten sich die Wandelgärten der Mauren mit Hainen, Brunnen und riesigen, gebogenen Palmen, die im Wind flatterten, das Ganze umschlossen von einer endlosen Steinmauer, so wie sich das für ein Paradies nun einmal gehört. Manchmal lief sie daran entlang, bis Gestrüpp das Weiterkommen verhinderte.
Sind die anderen draußen Unglückliche, Verstoßene gar? Auch wenn hin und wieder Lachen, Kindergeschrei und sogar Gesang zu uns herüberdringt? Das fragte sie sich.
Und wenn es so wäre, dann warum? Ja, so muss es eben sein, nicht wahr? Alles muss seine Ordnung haben. Welche von Gott ist.
Oder etwa nicht? Doch was haben die da draußen denn verbrochen? Und unser Verdienst: Welches ist es eigentlich?
Man sollte den Priester einmal danach fragen. Schließlich steht seine große Kathedrale mit ihrem Turm, dem Weltwunder, dort draußen, inmitten von Märkten, Kneipen, Gassen, Schmutz, Elend, Armut … und geheimnisvollen nächtlichen Lichtern und Klängen.
Das Labyrinth, der alte, verwunschene Maurengarten, Sevilla, Spanien, ja, die ganze Welt – das ist ein Reich in einem Reich in einem Reich in einem Reich in einem Reich.
Alles Irrgärten, einer größer als der andere und je größer, desto verbotener für die arme, gefangene, verheiratete Prinzessin.
Die Weltkugel, das gewaltigste und letzte Labyrinth, ist ohne Mauer, ohne Grenze. Colón, der mutige Entdecker, hatte das erkannt und war einfach fortgesegelt. Einfach fort!
Im Westen sah sie helles Leuchten über dem Guadalquivir, hinter dem es keine Berge mehr gibt, sodass sich der Ozean rot am Himmel spiegeln kann. Bis hinüber nach Lisboa, ihrer Heimat: flaches, heißes Land.
Prinzessin Maria Barbara winkte zu den Zofen an Land hinüber – wie immer. Nun war sie eine Galionsfigur, strich das Kleid über ihren Brüsten glatt, so wie sie es auf dem Ölgemälde der Heiligen gesehen hatte, welche die Seefahrer beschützt, eine berghohe Madonna zwischen Dutzenden winziger, unglaublich detailliert gemalter Galeonen, die unter vollen Segeln in die verschiedensten Richtungen auseinanderkreuzen, als käme der Wind – Gottes Wind? – von allen Seiten zugleich. Sie beugte sich über die Brüstung hinaus und roch die Meeresbrise, die von weither kam. Doch ihr Holzschiff, das Spielzeug, setzte sich nicht in Bewegung. Auf dem Fluss aber, vom Garten aus nicht sichtbar, obwohl nur einige Hundert Schritte entfernt, fuhren die wirklichen Schiffe ein, aus den neuen und den alten Welten, brachten schwarze, rote, gelbe und weiße Menschen.
Auch aus Italien. Sie dachte an den Meister – ihren Meister Escarlati: Wie lange war das her? Eine Spanne Staub auf den Tasten des Klavichords! Eine Elle Wuchs im Labyrinth –, nun konnten sich schon Männer mit Hüten darin verstecken oder Reiter auf Pferden! Eine Verwandlung vom Kind zur Frau, ein Wechsel vom Kinderbettchen in das Bett des Prinzen!
Das ist lang.
Die Töne, hatte Escarlati einmal gesagt, als er neben ihr am Cembalo saß, die müssen, wenn Ihr spielt, aufspringen wie Knospen. Man drückt da … und da oder da … und pling!
»Und pling!«, sagte sie und zupfte am Holz des Geländers. Seit damals war sie verliebt in das Cembalo – eine Liebe auf den ersten Blick oder besser auf den ersten Klang – und in dessen Kontrapunkt mit dem Rauschen der Kleider, wenn man sich auf den Stuhl setzt und zu spielen beginnt. Und in ihn. Ein wenig zumindest, denn er , der Meister, der sogar schon für den Papst hatte musizieren dürfen, er hatte ihr diese glitzernde und gezupfte Welt gezeigt, ihr allein, damals in Lisboa, genau zur richtigen Zeit: als sie zehn war, also wirklich noch ein Kind, andererseits aber schon eine Künstlerin (zumal, was die Musik betrifft, das Alter keine Rolle spielt im Gegensatz zu … doch kann man hier trennen, sind beide nicht vielmehr eins, Liebe und Musik?).
Und nun, zur Hochzeit, hatte sie sich ihn gewünscht! War dieses Geschenk nicht das Wichtigste am ganzen Fest? – Wer weiß.
Und er kommt, ja, er ist schon unterwegs!
3
Unter der Nachmittagssonne endlich näherten sie sich der Stadt Sevilla. Ankerlänge um Ankerlänge schleppte man den Segler an den Hafen heran, denn der Wind kam nun, nachdem das atlantische Unwetter sich des Nachts verzogen hatte, mit starker Kraft vom Land, und auf dem mittlerweile engen Flusslauf konnte man nicht mehr kreuzen.
Die Segel waren
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