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Kleine Verhältnisse

Kleine Verhältnisse

Titel: Kleine Verhältnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Werfel
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heute entdeckt. Dionysos von Syracus! Eine wunderbare Zeit, in der die größten Männer gelebt haben.«
    Hugo betrachtete das Silberstück und sagte nichts. Papa wartete eine Weile, ehe er nochmals betonte: »Die größten Männer! Hast du jemals den Namen Platon gehört?« Hugo war diesem Weisen in Gustav Schwabs ›Sagen des klassischen Altertums‹ wohl schon begegnet, aber sei es, daß er sich für die dort abgebildeten Helden und Heldinnen des Trojanischen Krieges mehr interessiert hatte, sei es, daß ihn eine leichte Feindseligkeit gegen Papa beherrschte, er verneinte die Frage. Der Vater legte die Münze auf den Samt zurück:
    »Lieber Junge! Du liest viel zuviel dummes Zeug zusammen. Wir werden jetzt systematisch beginnen müssen. Nicht wahr?« Und Hugo, der sich unter diesem ›Systematisch‹ nichts Rechtes denken konnte, hauchte aus enger Kehle: »Ja …«
    Papa lächelte zufrieden und war ganz Kameradschaftlichkeit: »Du bist jetzt gesund, Hugo, und ein großer Bursche. Deine Altersgenossen sitzen womöglich schon in der Tertia. Die Verspieltheit und Träumerei muß endlich auören. In einigen Tagen wird Herr Doktor Blumentritt zu uns kommen. Ich bin überzeugt, daß er dir glänzend gefallen wird, und daß du in ein paar Monaten alles Versäumte mit ihm spielend nachholen kannst …«
    Bei dieser Eröfnung nahm Papa seinen Sohn unterm Arm und ging mit ihm vergnügt auf und ab: »Ich hofe, daß wir beide gegen Mama eine feine Sache durchsetzen werden … Möchtest du nicht, vom nächsten Semester ab, auf dasselbe Gymnasium gehn, wo ich acht Jahre lang gesessen bin? Ich habe dir ja das Haus schon oft gezeigt …«
    Hugo erklärte mit leiser Stimme, daß er dies gerne möchte. Der Vater stellte einen Kampf in Aussicht, den er mit Mama und ihrer fanatischen Krankheitsfurcht werde ausfechten müssen, wobei er aber auf Hugos wertvolle Unterstützung rechne.
    Die dunklen Figuren einer Heiligen Familie, die fern an der Wand hing, begannen sich wahrnehmbar zu rühren, als hätten sie den Käfg des Rahmens satt und wollten nun in ein besseres Land aurechen. Auch andere Gestalten, die kostbaren Penaten dieses Hauses, regten sich. Hugo, der all die heimliche Bewegung merkte, sah zu Boden, als er fragte: »… Aber Fräulein Tappert bleibt doch bei uns, Papa?«
    Der Vater deutete durch plötzliche Lebhaftigkeit an, daß auch er sich mit Ernas Angelegenheit eingehend beschäftigt habe:
    »Ja richtig! Du hast mit Mama ein interessantes Gespräch gehabt. Sie hat mir darüber genau berichtet. Nun, ich gebe dir hiermit mein Wort, Hugo, daß für Fräulein Erna alles geschehn wird, was zu ihrem Vorteil gereicht. Mama wird noch heute mit ihr sprechen. Von dir und deiner Intervention wird natürlich nicht die Rede sein … Es ist übrigens sehr hübsch, daß du für deine Umgebung ein Herz hast!«
    Papa wiederholte, während er seine Fingernägel mit kurzsichtigen Augen betrachtete (eine Elite-Gebärde eleganter Nervosität für Hugo), sein geringfügiges Lob: »Ein gutes Herz ist ja sehr hübsch …« Als hätte damit die gebotene Zustimmung ihr Ende erreicht, begann er nun zwischen den altersheiligen Schätzen der langen Galerie auf und ab zu wandeln, wobei er den vorigen Worten einen kritischen Nachsatz anhängte: »Aber weichliche Empfndsamkeit und Romantik sind nicht die Tugenden, mit denen man in unserer Zeit vorwärts kommt … Was wird aus dir werden, mein Sohn? Du mußt dir härtere Ellbogen anschafen. Es steht nirgends geschrieben, daß man für alle Ewigkeit gesichert ist!«
    Gemaßregelt stand Hugo da, sehr klein in dem hohen Raum. Nach Albert nun auch Papa! Aber dieser milde Tadel bedrückte ihn nicht. Er hörte ihn kaum, da oberhalb seines Magens sich eine furchtbare Bangigkeit wie eine raschwachsende Pfanze entfaltete und alles verzerrte. Papa hielt in seinem Gang inne und streckte mit einer großen Bewegung den Arm aus, als weise er auf ein unsichtbares Porträt hin:
    »Dein Großvater, mein Vater, das war ein gewaltiger Mann. Er hat unser Haus gegründet, er hat alles geschafen. Und wodurch, glaubst du, ist er so groß geworden? Durch Kraft, mein Lieber, durch zielbewußte Härte, durch rücksichtslose Energie.« Hugo war ganz und gar nicht gesonnen, die blasse Erinnerung an diesen Großvater heraufzubeschwören und dessen sagenhafte Willenskraft mit dem Bilde eines hilfosen alten Herrn im Rollstuhl zu konfrontieren. Die schmerzvolle Pfanze in der Zwerchfellgegend wuchs und wuchs. Papa hingegen

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