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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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Wahrheit über meinen Sohn herausgefunden hat. Sie konnte nicht wissen, dass ich bei seinem Tod dabei war. Frajera hat sich einfach jemanden gesucht, der ungefähr in seinem Alter war. Vielleicht hat sie tatsächlich vorgehabt, ihn gegen mich zu benutzen, und hat es dann gelassen, weil sie sich in Malysch vernarrt hat. Vielleicht wusste sie aber auch nur nicht, ob ich ihr diese Lüge abkaufen würde.«
    »Es könnte auch einfach nur ihr verzweifelter Versuch sein, uns noch einmal wehzutun.«
    »Und was ist mit ihm?«
    Leo dachte nach. »Warum sagen wir ihm nicht die Wahrheit? Mit ihm spielt Frajera doch auch nur.«
    »Aber wie hört sich die Wahrheit in seinen Ohren an? Vielleicht glaubt er sie einfach nicht. Vielleicht denkt er, dass ich ihn nur nicht haben will und irgendwelche Geschichten erfinde, warum er auf keinen Fall mein Sohn sein kann. Leo, wenn er will, dass ich ihn liebe, wenn er eine Mutter sucht...«

    Mit ihrer seltenen Gabe, andere zu manipulieren, trug Frajera genau in diesem Augenblick zwar nur einen einzigen, dafür aber großen Teller mit heißem Eintopf herein. Es blieb ihnen keine Wahl, als sich im Schneidersitz zusammenzuhocken und gemeinsam zu essen. Soja sperrte sich zunächst und hielt sich abseits von den anderen. Doch das Essen wurde kalt, und da seine Wärme ohnehin das einzige Gute an ihm war, kam sie schließlich herbei und aß mit den anderen. Mit klappernden Gabeln pieksten alle Gemüse und Fleisch heraus.
    »Soja hat erzählt, dass du Lehrerin bist«, meldete sich Malysch.
    Raisa nickte. »Das stimmt.«
    »Ich kann nicht lesen und nicht schreiben. Würde ich aber gern.«
    »Wenn du willst, helfe ich dir.«
    Soja schüttelte den Kopf. Ohne Raisa eines Blickes zu würdigen, wandte sie sich an Malysch. »Das kann ich dir doch beibringen. Du brauchst sie nicht.«
    Der Teller war beinahe leer. Bald würden sie wieder auseinandergehen und jeder sich in seine Ecke des Raumes zurückziehen.
    Leo packte die Gelegenheit beim Schopf. »Elena braucht dich.«
    Soja hörte auf zu essen, antwortete aber nichts.
    Leo fuhr fort. »Ich will dich nicht aufregen. Aber Elena liebt dich. Sie will, dass du wieder nach Hause kommst.«
    Mehr sagte er nicht, auch wenn es tatsächlich viel schlimmer war.
    Soja ließ ihre Gabel fallen und stand auf. Sie blieb noch einen Moment abgewandt stehen, dann legte sie sich auf das Lager in der Ecke und drehte den anderen ihren Rücken zu. Malysch setzte sich zu ihr und legte ihr den Arm um die Schulter.

    Fröstelnd erwachte Leo. Es war früher Morgen. Er und Raisa hatten sich in einer Zimmerecke aneinandergeschmiegt, abseits von Malysch und Soja, die in einer anderen lagen. Frajera war den ganzen vorigen Tag unterwegs gewesen, einer der ungarischen Aufständischen hatte ihnen etwas zu essen gebracht. Leo merkte, dass sich etwas geändert hatte: In der ganzen Wohnung herrschte gedrückte Stimmung. Das Feiern und trunkene Hurrageschrei waren vorbei.
    Er stand auf, trat an das kleine Fenster und wischte das Kondenswasser ab. Draußen fiel Schnee. Eigentlich das perfekte Bild einer friedvollen Stadt, ganz weiß und ruhig - und trotzdem wurde Leo die Unruhe nicht los. Er sah keine Kinder spielen, keine Schneeballschlachten. Es war der erste Schnee in einer befreiten Stadt, und doch gab es kein Zeichen von Erregtheit oder gar Begeisterung. Keine Menschenseele ließ sich auf den Straßen blicken.

4. November

    Irgendwo über der Wohnung kam aus dem Himmel ein entferntes Heulen, das aber bald zu einem lauten Donnern anwuchs. Ein Düsenflugzeug war über sie hinweggeflogen. Trotz der Dunkelheit im Zimmer wachte Raisa sofort auf und fragte: »Was ist los?«
    Noch bevor Leo antworten konnte, waren fast gleichzeitig überall in der Stadt Explosionen zu hören. Im Nu waren Malysch und Soja auf den Beinen, sprangen an Leos Seite und spähten aus dem Fenster.
    »Sie sind wieder da«, erklärte Leo.
    In den angrenzenden Zimmern herrschte Panik. Auf dem Dach war Getrappel zu hören, als die vollkommen überraschten Aufständischen ihre Posten besetzten. Auf der Straße konnte Leo einen Panzer sehen. Sein Kanonenrohr schwenkte hierhin und dorthin, bis es schließlich die Heckenschützen auf dem Dach ins Visier nahm.
    »Deckung!«, Leo scheuchte die anderen in die entlegenste Zimmerecke. Einen Moment lang war Totenstille, dann kam die Explosion. Alle wurden von den Beinen gerissen. Das Dach stürzte ein, Holzbalken krachten herab, und die Rückwand brach zusammen. Der kleine Teil, der

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