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Kolyma

Kolyma

Titel: Kolyma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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der ihn liebte - den Staat. Von einer Verräterin wollte er nicht geliebt werden, das war ja gar keine Liebe. Täuschung und Betrug waren die Waffen eines Agenten, es war sein Recht, sich ihrer zu bedienen. Sein Land war angewiesen auf Betrug. Bevor er Agent beim MGB geworden war, hatte er als Soldat erfahren, wie notwendig Brutalität bei der Bezwingung des Faschismus gewesen war. Selbst die schrecklichsten Dinge konnte man mit dem Wohl des Ganzen rechtfertigen, dem sie letztendlich dienten.
    Er betrat die Kirche. Statt zu versuchen zu fliehen, kniete Lasar vor einer Ikone und erwartete betend sein Schicksal. Als er Leo sah, fiel sein trotziger Stolz von ihm ab. Im Moment des Verstehens schien er um Jahre zu altern.
    »Maxim?« Zum ersten Mal, seit sie sich kannten, musste nun er seinen Schützling um Erklärungen bitten.
    »Mein Name ist Leo Stepanowitsch Demidow.«
    Einige Sekunden lang schwieg Lasar. Schließlich murmelte er: »Aber du wurdest mir doch vom Patriarchen empfohlen.«
    »Der Patriarch Krassikow ist ein guter Bürger.«

    Lasar schüttelte den Kopf, er konnte es einfach nicht fassen. Der Patriarch ein Informant? Sein Schützling ein Spion, den ihm der höchste kirchliche Würdenträger ins Haus geschickt hatte? Man hatte ihn dem Staat ebenso geopfert wie die Kirche der Heiligen Sophia. Er war ein Narr gewesen, der andere gewarnt hatte, sich vorzusehen, und Umsicht gepredigt hatte, während direkt neben ihm ein Beamter des MGB gestanden und alles aufgeschrieben hatte.

    Nikolai trat heran. »Wo sind die restlichen Papiere?«
    Leo führte sie hinter die Ikonostase und deutete auf den Altar. »Da drunter.«
    Drei Agenten schoben den Altar beiseite und brachten die Kiste zum Vorschein. »Hat er noch weitere Namen genannt?«, fragte Nikolai.
    Leo antwortete: »Martemjan Systow, Artjom Nachajew, Njura Dmitrijewa, Moissei Semaschko.«
    Er erhaschte einen Blick auf Lasars Gesicht, auf dem Entsetzen sich in Abscheu verwandelte. Leo trat zu ihm. »Augen nach unten!«
    Lasar wandte den Blick nicht ab.
    Leo drückte seinen Kopf hinunter. »Augen nach unten, habe ich gesagt!«
    Lasar hob den Kopf wieder. Diesmal versetzte Leo ihm einen Faustschlag. Langsam, mit geplatzter Lippe, hob Lasar den Kopf erneut. Blut tropfte herab, doch er sah Leo an, in seinem Gesicht standen Ekel und Trotz.
    Als ob Lasar ihm eine Frage gestellt hätte, antwortete Leo: »Ich bin ein guter Mensch.«
    Leo hielt seinen Mentor an den Haaren und prügelte immer weiter auf ihn ein, Schlag auf Schlag, mechanisch wie eine aufziehbare Soldatenpuppe. Immer wieder dieselben Schläge, bis ihm die Fingerknöchel wehtaten und die Arme schmerzten und Lasars eine Gesichtshälfte ganz geschwollen war. Als er schließlich aufhörte und ihn losließ, fiel Lasar zu Boden, um seinen Mund herum bildete sich eine Blutlache.

    Nikolai legte Leo einen Arm über die Schulter und sah zu, wie Lasar hinausgetragen wurde und eine Blutspur vom Altar bis hin zur Tür hinterließ. Er zündete sich eine Zigarette an. »Leo, der Staat braucht Leute wie dich und mich.«
    Benommen wischte sich Leo das Blut an den Hosenbeinen ab, dann antwortete er: »Bevor wir abziehen, würde ich gerne noch kurz die Kirche durchsuchen.«
    Ohne einen Hauch von Misstrauen ging Nikolai auf den Vorschlag ein. »Du bist ein Perfektionist, das gefällt mir. Aber beeil dich. Heute Abend betrinken wir uns. Du hast schon zwei Monate keinen mehr gehoben. Hast ja gelebt wie ein Mönch.«
    Nikolai lachte über seinen eigenen Witz und klopfte Leo auf den Rücken, dann marschierte er hinaus. Als Leo allein war, trat er zu dem weggeschobenen Altar und starrte in das Loch. Eingeklemmt zwischen der Kiste und der Erdausschachtung hing ein einzelnes Blatt Papier. Er beugte sich hinab und fischte es heraus. Es war ein Notenblatt. Besser, wenn man gar nicht erfuhr, was hier verloren gegangen war. Er hob das Blatt an die Flamme einer nahe stehenden Kerze und sah zu, wie es sich schwarz färbte.

Sieben Jahre danach
    Moskau

    12. März 1956

    Als Leiter eines kleinen akademischen Druckereiverlags war Suren Moskwin dafür bekannt, dass er Fachbücher von erbärmlichster Qualität druckte. Er verwendete schmierende Druckerschwärze und das dünnste Papier, zusammengehalten wurde das Ganze von einem Buchrücken aus Leim, aus dem sich schon wenige Stunden nach dem Öffnen des Buches die ersten Blätter lösten. Nicht, dass er faul oder inkompetent gewesen wäre, ganz im Gegenteil, er begann frühmorgens mit der

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