Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
keine Lösung sei. Natürlich ist es für die Betreffenden eine Lösung. Daß manche sich für den Tod entscheiden, ist eine logische und sonnenklare Konsequenz der Tatsache, daß wir die Wahl haben, und es ist eine Lösung, für die Menschen sich zu allen Zeiten entschieden haben.«
»Aber Sie versuchen doch sicher, das zu verhindern?«
»Ich sage: Die Entscheidung liegt bei dir. Und ich fühle mich nicht immer ganz wohl in meiner Haut, wenn ich ihnen auf Biegen und Brechen ein Leben aufzwingen muß. Oder wenn ich ihnen eine Psychose stehle, die ihnen trotz allem als einziger Fluchtweg erscheint.«
Ich werde heute nacht nicht schlafen können, dachte er. Ihr Gesicht wird in der Dunkelheit vor mir schweben und mich festhalten. Ihre Worte werden in meinen Ohren widerhallen. Er ertappte sich dabei, wie er seinen Trauring hin und her drehte, und gleichzeitig dachte er, daß sie, sollte sie aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz Interesse an ihm gefaßt haben, dieses nun sofort unterdrücken würde. Vielleicht sollte er den Ring ablegen. Andererseits hatte er schon vor langer Zeit beschlossen, ihn dereinst mit ins Grab zu nehmen. Aber der Ring signalisierte, daß es in seinem Leben eine Frau gab. Jetzt hatte Dr. Struel den Ring gesehen. Und dieses Wissen störte ihn.
»Errki wandert gern durch den Wald und über die Landstraße. Aber die Gesellschaft von Menschen sucht er nicht?«
»Nein«, mußte sie zugeben.
»Jetzt war es offenbar anders, schließlich ist er bis in die Stadt gegangen und hat sich sogar in eine Bank verirrt. Meinen Sie nicht, das bedeutet, daß ihn etwas belastet? Daß er das Gefühl hatte, Hilfe zu brauchen? Weil etwas passiert ist?«
Plötzlich sah sie ängstlich aus. Wieder durchwogte ihn eine Welle. Als die Welle sich zurückzog, schaute er in sein Herz, das so lange ein leerer Strand gewesen war. Zum erstenmal seit vielen Jahren stand an diesem Strand eine Frau.
»IST ETWAS VORGEFALLEN?« Skarre sah ihn an.
»Wie meinst du das?«
»Du bist so lange weggeblieben.«
Sejer sagte nichts dazu. Er stand vor dem Waschbecken und hatte Skarre den Rücken gekehrt. Skarre wurde unsicher. Sejer war zwar bisweilen verschlossen, aber jetzt teilte sein gerade aufgerichteter Rücken mit, daß irgend etwas ihm gewaltig zusetzte.
»Ich habe einiges an nützlichen Informationen erhalten«, sagte Sejer, drehte sich aber nicht um. Er öffnete den Wasserhahn und klatschte sich kaltes Wasser in das überhitzte Gesicht. Erst nachdem er sich sorgfältig abgetrocknet hatte und mit den Fingern durch seinen kurzen Schopf gefahren war, fragte er: »Haben wir die Bilder von den Spuren am Tatort schon?«
»Nein, aber sie sind unterwegs. Sehr gute Schwarzweißbilder, sagt das Labor. Sie tippen auf Turnschuhe. Man sieht wohl das typische Zickzackprofil. Die Spuren sind neununddreißig Zentimeter lang, das entspricht Schuhgröße dreiundvierzig. Mehr weiß ich im Moment noch nicht.«
»Doktor Struel kann sich nicht vorstellen, daß Errki zu einem Mord imstande sein soll. Sie sagt, er beißt zu, wenn er provoziert wird.«
»Sie? Und er beißt?« Skarre blickte ihn lange an. »Es ist also eine Ärztin? Konnte sie dir etwas darüber sagen, wie er sich bei einer Geiselnahme wohl verhält?«
»Sie meint, er zieht sich in sich zurück. Bezeichnet ihn als defensiv. Aber wir wissen ja noch nicht viel über diesen Bankräuber und was der für ein Typ ist.«
»Vielleicht amüsieren die beiden sich gerade königlich.«
»Das wäre nicht das erste Mal. Aber ich habe mir etwas überlegt. Was, meinst du, würde wohl passieren, wenn der Bankräuber erführe, daß seine Geisel von der Polizei gesucht wird, und zwar im Zusammenhang mit einem Mord?«
Skarre lächelte kurz. »Vielleicht würde er sich fürchten und Errki laufenlassen.«
»Vielleicht. Und es ist im Grunde ja nicht unwahrscheinlich, daß er Radio hört, um sich über die Lage zu informieren.«
»Aber die Presse hat doch keine Ahnung? Die wissen doch nicht, daß die Geisel identisch ist mit dem Mann, der in der Nähe von Halldis’ Haus gesehen wurde, oder?«
»Das ist aber nur eine Frage der Zeit, meinst du nicht?«
Er sah zur Tür, die auf einen langen Flur hinausführte, an dem viele Büros nebeneinander aufgereiht lagen. »Das ist ein großes Haus. Es dauert nicht lange, bis da etwas durchsickert.«
»Und dann kann er gefährlich werden, nicht wahr?«
Sejer sah ihn an. »Was würdest du machen? Versuch, mit deiner kriminellen Gehirnabteilung zu
Weitere Kostenlose Bücher