Konrad Sejer 03 - Wer hat Angst vorm boesen Wolf
soviel Glück rechnen.
»Ich bin nicht geizig«, sagte Morgan plötzlich. »Du kannst über Morgan sagen, was du willst, aber geizig bin ich nicht.«
Er schielte zu dem gierig trinkenden Errki hinüber.
Dann verschwand er in der Küche. Errki spürte, daß er die Wahrheit gesagt hatte. Morgan hatte viele Eigenheiten, aber geizig war er nicht. Er durchwühlte die Küchenschubladen, und Errki hörte, daß er die Speisekammertür öffnete. Während Morgan außer Sichtweite war, trank Errki mehrmals ausgiebig. Von Morgan war leises Fluchen zu hören, Gegenstände wurden wütend umhergeschleudert. Etwas raschelte. Das bedeutete, daß er sich an den in Plastikfolie gewickelten Kerzen zu schaffen machte. Nun ging er in die Kammer. Errki trank weiter, hörte, wie Morgan gegen die Wände schlug. Dann schallte Morgans Stimme durch das ganze Haus: »Was, zum Teufel, sieh doch mal!«
Errki erhob sich und watschelte in die Küche. »Du hast gerufen, Herr?« Er hielt die Flasche in der Hand.
Morgan hatte den Revolver auf die Fensterbank gelegt. »Schau mal, was ich gefunden hab!«
Er hielt Errki etwas vors Gesicht. Vergilbtes, trockenes Papier, mehrere Male zusammengefaltet. »Auf dem Boden unter den Betten. Eine Karte von Finnemarka. Laß uns mal nachsehen, wo wir sind.« Er las vor: »Landkarte der Region Finnemarka, Staatliches Kartenamt, 1965. Hilf mir, Errki!«
Morgan nahm den Revolver an sich und ging ins Wohnzimmer. Errki folgte ihm.
»Kennst du dich mit Karten aus? Du mußt mir helfen. Kannst du so ungefähr feststellen, wo dieses Haus liegt?«
Er faltete die Karte auseinander, die zwischen seinen Fingern zu zerfallen drohte.
Errki schaute sich die Karte an. Dann tippte er mit der Fingerspitze auf einen kleinen, blaßblauen Fleck. »Hier sind wir«, sagte er leise.
»So einfach?« Morgan starrte den Fleck an. »Woher willst du das so sicher wissen?«
»Schau dir den See dahinten an«, sage Errki. »Und seine Umrisse. Vergleich das mit der Karte. Der See heißt Himmelreichsweiher.«
»Meine Güte. Du hast ja wirklich lichte Momente.«
Morgan ging zum Fenster und schaute hinaus. Der See hatte genau die gleichen Umrisse wie der auf der Karte. »Verdammt, kennst du dich so gut aus? So weit sind wir eigentlich gar nicht gelaufen«, fügte er hinzu. »Ich kann heute nacht über den Hügel gehen und dann hier herauskommen.« Wieder zeigte er auf die Karte. »Und aus lauter Jux werde ich mit dir Kleider tauschen.«
Er schnappte sich die Whiskyflasche. Endlich fühlte er sich besser. Er wußte, wo sie waren. Er befand sich nicht mehr in einem weißen Fleck, alles hatte einen Namen, Hügel und See, und ringsum gab es ein Netz aus numerierten Straßen.
»Du gehst den Weg zurück, den wir gekommen sind. Und ich gehe weiter nach – das muß Nordwesten sein. Du kannst meine Shorts haben. In Hawaiishorts siehst du bestimmt wunderbar aus. Ich laß dich laufen. Zwischen Mitternacht und ein Uhr morgens.«
Er machte ein zufriedenes Gesicht. Jetzt hatte er ein Ziel.
»Die Nachrichten«, sagte er plötzlich und fuhr hoch. Stolperte zum Radio und drehte es lauter. Eine Frau verlas die Meldungen. Errki ließ sich wieder auf den Boden sinken und schloß die Augen. Seine Lippen waren wie betäubt und angenehm schlaff vom Schnaps.
» Das Hauptaugenmerk der Polizei gilt neben dem Überfall auf die Fokusbank dem ungewöhnlich brutalen Mord an der sechsundsiebzigjährigen Halldis Horn in Finnemarka. Die Polizei teilte mit, daß eine Spur verfolgt wird, die möglicherweise zum Täter führt, gab aber aus Rücksicht auf den derzeitigen Stand der Ermittlungen nichts Näheres über diese Spur bekannt. Die Ermittler gehen jedoch davon aus, daß der Mord bald aufgeklärt sein wird. «
Morgan sah Errki an. »Wo sie wohl gewohnt hat? Hast du sie gekannt?« Er kratzte sich den Kopf. »Meinst du, sie werden hier in der Gegend suchen? Begreifst du, was in einem vorgeht, der etwas dermaßen Schreckliches tut?«
Errki warf unwillig seine langen Haare in den Nacken. Aber eine Antwort gab er nicht.
»WIE KAM ES ZU der Zwangseinweisung?« fragte Sejer. »Hat er jemanden bedroht?«
Dr. Struel schüttelte den Kopf. »Er wollte nicht mehr essen. Er war schon arg unterernährt, als er hergebracht wurde.«
»Warum wollte er nicht mehr essen?«
»Er konnte sich nicht entscheiden, was er essen wollte. Er saß am Mittagstisch und streckte die Hand erst nach dem einen und dann nach dem anderen Brotbelag aus.«
»Und was haben Sie
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