Kopernikus 7
Gebirge zuckten die ersten Blitze auf.
Jetzt erst hatte sie den einsamen Baum, der fast im Zentrum der Wiese stand, entdeckt. Ihr Haar und die Schleifen, in die das Haar gebunden war, flatterten in dem Wind, der jetzt aufkam. Während der Wind durch ihre Kleider fuhr und sie ein Gefühl der Befreiung empfand, setzte unter den ersten vom Gebirge herüberlaufenden Donnerschlägen fast ihr Herzschlag aus. Was tue ich nur? Was tue ich nur, dachte Karin rasch. Und da der einsame, knorrige Baum, der als fahle Silhouette wie mit knochigen Armen vor dem silbrigen Himmel stand, bei allem Bedenken, das ihr kam, ihr einziger Fluchtpunkt war, rannte sie, ihre Ängste beiseite schiebend, zu ihm hin.
Während sie rannte, setzte der Regen, der aus tief vorüberziehenden Wolken fiel, heftig ein, und schon nach wenigen Minuten war Karin bis auf die Haut durchnäßt. Aber trotz der Angst in ihr fühlte sie, während sie zu dem Baum hinlief, gleichzeitig, da das Wasser über ihren Körper rann, ein ungeheures Gefühl der Erleichterung. Dann hatte sie den Baum erreicht, an dessen Rinde das Wasser in breiten Rinnsalen niederfloß.
Der Sturm über ihr erreichte seinen Höhepunkt. Die Wolken flogen tief dahin, und Blitze schlugen in die Wiese ein, über der es sonst fast völlig finster war. In der Luft lag Schwefelgeruch. Das herabfallende Wasser drang gurgelnd zu Karins Füßen in den Boden ein. Noch mehrmals brüllte der Himmel unter schmetternden Schlägen auf. Ein Blitz, der die Wolkenwand aufriß, schlug wenige Meter neben dem Baum in einen Erdhügel ein, den er als dampfende, rauchende Mulde hinterließ. Dann riß der Himmel auf. Der Regen hörte auf. Die Sonne schien erst ein fahler Mond zu sein und drang dann mit ihrer vollen Strahlung durch. Ein Regenbogen bildete sich und verging so schnell, wie er entstanden war. Zwischen den Zweigen des kahlen Baums, unter dem Karin jetzt frierend stand, blitzte im Sonnenlicht ein winziges Spinnennetz, das den Sturm und Regenguß anscheinend unversehrt überstanden hatte.
Einmal beugte, während Karin schlief, sich ein Riese über sie. Er hatte ein modriges, schlüpfriges, fauliges Gesicht, von dem eine Art Schlamm auf ihr weißes Kissen troff. Sie zuckte vor dem stinkenden Atem des Riesen in ihre Kissen zurück. Schützend schlug sie die Hände vors Gesicht. Aber das Vieh wich nicht zurück. Es war, als stoße der Riese gelbe Wolken aus. Sein Gesicht war schief, während er sabbernd mit sich sprach. Einmal streckte er seine Hände nach Karin aus, die endlich verzweifelt mit dem Kissen nach ihm warf, woraufhin er plötzlich verschwand.
Sie wußte nicht, wieviel Zeit verrann, während ihr Fieber stieg. Unter dem Bettlaken war sie naßgeschwitzt. Einmal war ihr, als fühlte sie Hände in ihrem Gesicht. Streichelnde, sanfte Hände waren das. Aber als sie den Namen ihrer Mutter rief, stellte sie fest, daß sie die Hände bloß in ihrem glühenden Kopfe sah. Wieder fiel sie in eine schwarze Nacht hinab. In dieser Nacht traten Stimmen auf. Einmal hatte sie Licht gemacht, als ein Gespinst, haarfein, hauchdünn und ein wenig klebrig, über ihre Züge strich.
Es war, als rufe eine Stimme wie von ferne Karin an. Im Schlaf noch lallte sie: „Ja, was ist?“ Aber die Stimme, ohne auf Karin einzugehen, schlug wieder in einem Tonfall an, der in Karins Herz eindrang. Mit einer tastenden Hand machte sie das Nachttischlämpchen an. Sie war allein in ihrem kleinen Raum. Mit zitternden Beinen stand sie auf. Einen Bademantel um die Schultern, trat sie auf den Flur hinaus.
Die Tür zur Kabine ihres Bruders stand halb offen. „Tobias“, flüsterte sie durch den Spalt, ohne daß von dort eine Antwort kam. Aus seiner Kabine fiel ein schmales, gelbes Licht. Sie drückte die Türe auf. Tobias lag auf seinem Bett, er hatte noch seine
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