Kopernikus 7
das Ding schrie auf.
Während er noch auf dem Boden lag, stürzte ein blaßgrünes Kind mit gespreizten Krallen auf ihn herab. Der Schmerz, da das Kind sich in seiner Schulter verbiß, war so stark, daß Werner Wagenseil in eine tiefe Ohnmacht fiel. Selbst in diese Ohnmacht hinein attackierten sie ihn. Sie kamen – während eine knochige Hand Herrn Wagenseil aufrecht hielt – von allen Seiten auf ihn herab – große rote Klumpen, wie von heißem Wasser verbrüht, ein grauer Pelz, der mit rasiermesserscharfen Krallen um sich hieb, ein langgestreckter weißer Lurch, der mit seinen Zähnen Herrn Wagenseils Oberschenkelvenen aufriß.
Die Kneipe war von Gestank und Lärm erfüllt. Flüssiges Metall rollte in winzigen Kügelchen durch den Raum. Der Computer las mit sich überschlagender Stimme Zahlenkolonnen ab. Ein Ventil war geplatzt, und weiße Sauerstoffwolken senkten sich herab. Da ging gegenüber, fast durch den ausströmenden Dampf verhüllt, die Tür auf, und der Sandmann kam herein.
In diesem Augenblick fiel die Schwerkraft aus, der Computer spuckte lange, leere Blätter aus, und Herr Wagenseil schoß, seiner Trägheit gehorchend, quer durch den Raum, rannte den Sandmann um, riß ihm die Maske vom Gesicht und fand unter seinen Händen nur gärenden Schaum – einen schmutzigen, perlenden, sich zersetzenden Brei, der in dicken, schmutzigen Spritzern zu Boden fiel. Mit einem Plumps fiel der Sack, der über der Schulter des Sandmanns gelegen hatte, auf den Metallbelag hinab, und ein Dutzend glitzernder, gläserner Perlen rollte heraus.
Herr Wagenseil, von dem Blutverlust geschwächt, war in den Schleim und zwischen die Glaskugeln gestürzt. Als er so auf dem Rücken lag und das Blut aus seinem Körper lief, sah er ein Kind, das mit spitzer Nadel in eine Spinne stach. Rote Schleier legten sich über das Bild. Hinter den Schleiern schaukelte unter der Decke ein Spinnennetz. Ein großes schwarzes Tier ließ sich an einem Faden, der aus seinem After lief, behende zu Herrn Wagenseil herab. Auf seiner Zunge spürte Werner Wagenseil Salzgeschmack. Eine bittere Flüssigkeit troff auf ihn. Sein Körper wurde steif. Nur noch in Gedanken hob er abwehrend einen Arm, dann umfing ihn Dunkelheit.
Mit einem Mal war Karin Wagenseil erwacht. Ganz plötzlich war sie völlig klar. Während sie noch ein wenig fror, stellte sie fest, daß sie in ihrer halbdunklen Kabine auf den Boden gefallen war. Ihr Nachtkleid war verrutscht. Es war in der Kabine schwül und feucht. Etwas wie Blut sickerte über ihr Gesicht. Als sie danach griff, hielt sie gelben Speichel in der Hand.
Die Wände, im aufflammenden Licht, waren ausgebeult. Über sie liefen ringsum schwarze Schleifspuren hinab. An einer Wand hing – unübersehbar – ein langes behaartes Bein, das langsam in die Tiefe fiel. Obwohl die Ventilation auf vollen Touren lief, hing über der Kabine ein pestilenzartiger Gestank. Aus den Augenwinkeln schien es dem Kind, eine Spinne habe sie mit großen schwarzen Augen angeblickt. Vorsichtig stand sie auf und wäre beinahe auf dem langsam trocknenden Schleim ausgerutscht.
Das flackernde Bild auf der Wand verging. Die Tapeten waren naßgeschwitzt. Irgendwo unten, in der Tiefe, röchelte der Raumschiffgenerator, der mit geringer Spannung lief. Karin Wagenseil taumelte etwas, während eine Röte ihr Gesicht überflog. Wo waren ihre Mutter, ihr Vater, was war mit Tobias los? War das wirklich hier ihr Schiff? Sie fror, die Türklinke in der Hand. Ein Teil des Korridors war vom Sand zugeweht.
Schwitzend preßte sie die Tür zu Tobias’ Kabine auf. Als sie endlich in sein Zimmer trat, war ihr, als ziehe sich ein großer schwarzer Schatten von dem Bett zurück. Tobias, der mit geöffnetem Mund röchelnd auf dem Sofa lag, regte
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