Kovac & Liska 02 - In aller Unschuld
Dahl kroch in eine Ecke des Müllcontainers, eine der vorderen, wo er im Schatten bleiben würde, wenn jemand den Deckel heben sollte.
Von überall her war das Sirenengeheul von Polizeiautos zu hören, die auf der Suche nach ihm wie Bienen ausgeschwärmt waren. Heute Abend drehte sich alles um ihn. Das war eine ganz neue Erfahrung für ihn.
Er hörte, wie langsam ein Auto die Gasse entlangfuhr. Kein Sirenengeheul, aber Dahl machte sich dennoch so klein, wie er konnte, zog den Kopf ein und verkroch sich unter vielen Schichten von zerknülltem Papier und Essensresten. Der Deckel des Containers war verbogen und eingedellt und schloss nicht mehr richtig. Helles Licht fiel herein, drang durch das Papier und beleuchtete seine seltsame kleine Welt. Das Notausgangsschild über der Hintertür des Gebäudes auf der gegenüberliegenden Seite der Gasse. Zuerst wurde es in blaues Licht getaucht, dann in rotes.
Das Auto hielt an. Die Türen gingen auf.
»Hallo, Leute. Wir suchen jemanden. Habt ihr hier draußen heute Abend einen Mann gesehen?«
»Wir sind gerade erst rausgekommen. Zigarettenpause.«
Angestellte aus dem Restaurant. Dahl hatte sie vor einer Weile gehört, als sie durch die Tür gekommen waren. Sie hatten über irgendwelche Belanglosigkeiten geplaudert – was sie nach Feierabend unternehmen wollten, dass ein Freund sich ein neues Auto gekauft hatte, auf welche Football-Mannschaft sie am Sonntag setzen würden.
»Nach wem suchen Sie denn?«
»Karl Dahl.«
»Dieser Mörder?«
»Ja. Er ist geflüchtet. Wissen Sie, wie er aussieht?«
»Hab sein Foto in den Nachrichten gesehen. Mann, und der läuft frei rum?«
»Ein paar Deputys hatten ihn ins Krankenhaus gebracht. Dort ist er entkommen. Sie haben also niemanden gesehen?«
»Nur den verrückten alten Penner, der sich oft hier in der Gasse herumtreibt, sucht Dosen und solches Zeug. Fischt sich immer sein Essen aus dem Müll.«
»Wo ist er jetzt?«
»Woher soll ich denn das wissen?«
»Ich hab mal gesehen, dass er unter der Treppe hinter der Polsterei am Ende der Gasse schläft.«
Schuhe scharrten über den Asphalt. Kamen näher … noch näher.
Dahl hielt den Atem an.
Die Angeln des Müllcontainers quietschten, als jemand den Deckel aufschob. Dahl stellte sich vor, er sei unsichtbar.
Der Container schwankte leicht, als sich jemand am Rand hochzog, um besser ins Innere sehen zu können. Einer von den Cops, dachte er. Wie zur Bestätigung stocherte der Betreffende mit einem Gummiknüppel in dem Müll direkt vor seinen Augen herum. Das Gestochere ging weiter, bewegte sich aber langsam von ihm weg.
»Pass auf, dass dich die Ratten nicht in deine lange Nase beißen, Doug.« Der andere Cop.
»Hier ist nichts.«
»Wollen Sie vielleicht einen Kaffee oder was zu essen?«
»Sag mal, bist du vielleicht Krösus, Jamal? Der Boss wird sich bedanken, wenn du irgendwelche Polizisten einlädst!«
»Ist schon in Ordnung, Leute. Wir müssen sowieso weiter. Aber danke.«
Der Deckel des Containers ging wieder zu.
»Wenn ihr den Mann seht, ruft an.«
»Worauf Sie einen lassen können.«
Dahl wagte erst wieder, Luft zu holen, als er hörte, wie der Streifenwagen weiterfuhr. Aber er rührte sich immer noch nicht.
»Ziemlich übler Typ, dieser Dahl«, sagte Jamal. »Hat zwei kleine Kinder umgebracht. Und diese Frau aufgeschlitzt.«
»Muss total durchgeknallt sein.«
Einen Moment lang war nichts zu hören, während sie ihre Zigaretten zu Ende rauchten, dann gingen sie zurück an die Arbeit.
Dahl wartete eine ganze Weile, bevor er es wagte, seinen Kopf aus dem Container zu stecken und die Gasse hinunterzusehen. Der Streifenwagen war verschwunden. Es war weit und breit niemand zu sehen.
Vorsichtig und jedes Geräusch vermeidend kletterte er aus seinem Versteck und lief im Schutz der Schatten die Gasse entlang. Am Ende des Blocks erblickte er auf der linken Seite einen breiten Treppenabsatz und Stufen, die zur Hintertür eines Geschäfts führten.
Falls der Penner, von dem die Restaurantangestellten gesprochen hatten, regelmäßig unter dieser Treppe schlief, bestand die Möglichkeit, dass er seinen Kram dort versteckt hatte.
Flink wie ein Wiesel huschte Dahl über die Gasse. Er entdeckte einen Einkaufswagen, vollgestopft mit dem Zeug, das Obdachlose so mit sich führten – Limoflaschen und Bierdosen, die sie wegen des Pfands sammelten, dreckige Decken und Klamotten.
Er musste die Gefängniskleidung loswerden und etwas anderes anziehen. Niemand verschwendete
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