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Kreuzweg

Kreuzweg

Titel: Kreuzweg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diane Broeckhoven
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Ich konnte seine Nähe, die solchehäuslichen Szenen mit sich brachten, kaum länger als ein paar Minuten ertragen.
    Nachts hörte ich oft, wie seine Schlafzimmertüre aufging, seine Schritte auf dem Treppenabsatz, dann unten vage das Klirren von Glas. Schlaftrunken, aber wachsam setzte ich mich auf den Stuhl vor meiner Zimmertür und lauschte so lange, bis ich die Geräusche in umgekehrter Reihenfolge hörte. Bis ich ganz sicher war, dass er wieder im Ehebett lag. Bis sein Betthupferl wirkte.
    Eines Tages saß ich bei Oma Gleis und trank ein Gläschen Tee, als es klingelte. Vor der Tür stand ein vitaler Mann mit einer Werkzeugkiste in der Hand. «Ich komme das Schloss anbringen, Fräulein», verkündete er und trat ein. Sein Name sei André, er sei der Schwiegervater des Freundes des Nachbarn und war nun hier, weil Oma ihn gebeten hatte, ein Riegelschloss an der Küchentür zu befestigen. Ich persönlich fand, das sei mehr etwas für einen Hühnerstall oder einen Fahrradschuppen, doch Oma behauptete, sie würde sich damit sicherer fühlen. Heutzutage kämen sie mit einer verbogenen Haarspange oder einer Heftklammer im Handumdrehen in dein Haus. Selbst wenn man die Tür zur Nacht verriegelt hatte. Das wusste sie aus den Nachrichten.
    Ich sah dem Mann aufmerksam dabei zu, wie er zu beiden Seiten des Türrahmens Löcher bohrte, aus denen feiner Staub aufwirbelte. Wie er mithilfe eines Lineals feine Bleistiftstriche zog, die er anschließend mit einem Radiergummi wegrubbelte. Wie er die genaue Anzahlbenötigter Schrauben zählte und auf die Tischplatte legte. In nur einer Viertelstunde war die Sache erledigt. Er rief Oma herbei, nahm ihre Hand, die er, mit seiner eigenen großen Männerhand darüber, an den Metallriegel führte. Gemeinsam schoben sie den Bolzen durch den Halbring. Anschauungsunterricht.
    «Wie gesagt, eine Kleinigkeit», meinte er. «Und sollte das mit dem Öffnen oder Schließen nach einer Weile nicht mehr ganz so reibungslos gehen, einfach ein Tröpfchen Salatöl draufgeben!»
    Oma erkundigte sich, was sie ihm schuldig sei. «Nichts, Mütterchen, gar nichts. Arbeitsstunden habe ich nicht, Anfahrtskosten berechne ich nicht, wenn ich mit dem Fahrrad komme, und das Schloss liegt seit mindestens zehn Jahren unbenutzt in meiner Kiste. Aber ein Bier wäre fein!»
    Gleich am nächsten Tag besorgte ich mir in einem Bauladen dasselbe Schloss. Es war mit den dazugehörigen Schrauben in Plastik eingeschweißt. Ich wartete, bis ich allein zu Hause war, und testete in der Garage die Black & Decker meines Vaters. Einfach so in den luftleeren Raum hinein, als hätte ich einen Stabmixer in der Hand. Trotzdem musste ich erst einmal tief durchatmen, bevor ich es wagte, auf den kleinen Knopf zu drücken. Die dicke Bohrschraube ersetzte ich durch eine feinere.
    In meinem Zimmer steckte ich mir, wie André, zwischen dem Linienziehen und dem anschließenden Bohren den Bleistift hinters Ohr. Ich brachte die Sache akkurat zuEnde. Es war ein denkwürdiger Augenblick für mich, als ich den Riegel langsam zuschob und merkte, dass eine gute Vorbereitung schon die halbe Miete ist.
    Seither schlief ich fest und ungestört. Papas nächtliche Ausflüge zum Barschrank rissen mich nicht mehr aus dem Schlaf. Mein Herz klopfte nicht mehr bei jedem Geräusch. Wieso war ich nicht eher auf so eine simple Sache gekommen? Ich hatte Mama mehrmals um einen Schlüssel für mein Zimmer gebeten. Den habe sie verlegt, behauptete sie. Aber ob sie je einen besessen hatte? Außerdem, welches Kind wolle sich denn in den eigenen vier Wänden einschließen? Privatsphäre? Wie bitte? Sie klopfte doch jedes Mal an, bevor sie eintrat.
    Am 24. August, eine Woche bevor für mich das neue Jahr auf meiner alten Schule anbrechen würde, feierten wir Mamas Geburtstag. Mein Vater war davon überzeugt, sie hätte das selbst so gewollt. Erinnerungen, Tränen, Kuchen und ein paar Flaschen Wein. Viel zu viele für so wenige Leute. Oma Gleis war da, zwei Tanten, ein Onkel, Papa und ich. Ich selbst machte mich unsichtbar, sagte kaum ein Wort. Mama fehlte so sehr, dass es wehtat.
    Gegen elf verabschiedeten sich die Gäste, und Papa brachte Oma Gleis nach Hause. Ich räumte inzwischen Teller und Gläser weg, stapelte alles auf der Anrichte in der Küche. Ein in sich zusammengefallenes Tortenstück stellte ich in den Kühlschrank. Dann füllte ich mein Weinglas noch einmal, eher, um die letzte Flasche zu leeren, als dass ich Lust darauf hatte. Als ich draußen die

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