Krieg und Frieden
grauen Mantel stand auf, rief Berthier zu sich und ging mit ihm am Ufer auf und ab, gab Befehle und blickte zuweilen gemütlich nach den ertrinkenden Ulanen.
Es war ihm nicht neu, daß seine Anwesenheit an allen Enden der Welt überall die Soldaten in einen sinnlosen Enthusiasmus versetzte.
Etwa vierzig Ulanen ertranken im Fluß, obgleich man Boote zur Hilfe sandte. Die meisten kehrten an das diesseitige Ufer zurück, der Oberst und einige Ulanen aber durchschwammen den Fluß und erstiegen mit Mühe das andere Ufer. Sobald sie es erstiegen hatten, riefen sie: »Vive l'empereur!« und blickten entzückt nach der Stelle, wo Napoleon stand.
Am Abend gab Napoleon den Befehl, dem polnischen Obersten, der sich ganz ohne Not in den Fluß gestürzt hatte, den Orden der Ehrenlegion zu verleihen, dessen Haupt Napoleon war.
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Währenddessen hielt sich der russische Kaiser seit mehr als zwei Wochen in Wilna auf, wo er Revuen und Manöver abhielt. Nichts war zum Kriege vorbereitet, den alle erwarteten. Es existierte kein Kriegsplan, von den drei Armeen hatte jede ihren besonderen Oberkommandierenden, aber einen Befehlshaber über alle Armeen gab es nicht und der Kaiser übernahm diesen Posten nicht.
Je länger der Kaiser in Wilna war, desto weniger geschah für den bevorstehenden Krieg. Die Umgebung des Kaisers schien nur an Bälle und Festlichkeiten zu denken. An demselben Tag, wo Napoleon den Befehl zum Überschreiten des Niemen gab und seine Vortruppen die Kosaken zurückdrängten und die russische Grenze überschritten, war Kaiser Alexander auf einem Ball, den die Generaladjutanten vorbereitet hatten, im Landhaus des Generals Grafen Bennigsen, der bei Wilna ein Gut besaß.
Der Ball war glänzend. Selten hatten sich so viele Schönheiten auf einer Stelle versammelt. Auch Boris Drubezkoi, welcher seine Frau in Moskau zurückgelassen hatte, war zugegen, und obgleich er kein Generaladjutant war, hatte er sich doch mit einer bedeutenden Summe für die Kosten des Festes unterschrieben. Boris war jetzt reich, suchte nicht mehr nach Gönnerschaften, sondern stand auf gleichem Fuß mit hohen Würdenträgern. Um zwölf Uhr nachts wurde noch getanzt. Helene, die keinen würdigen Tänzer hatte, forderte selbst Boris zur Masurka auf. Gleichmütig blickte er über die glänzenden Schultern Helenes weg, welche aus einem dunklen Gazekleid mit Goldstickerei hervorsahen, erzählte von alten Bekannten und beobachtete dabei beständig den Kaiser, der nicht tanzte und bald an den einen, bald an den anderen freundliche Worte richtete, wie nur er sie auszusprechen verstand.
Beim Anfang der Masurka bemerkte Boris, daß der Generaladjutant Balaschew sich dem Kaiser näherte und stehenblieb, während der Kaiser mit einer polnischen Dame sprach. Der Kaiser blickte ihn fragend an und begriff, daß Balaschew eine wichtige Meldung zu machen habe. Er nickte der Dame zu und wandte sich an den General. Nach den ersten Worten desselben drückte sich auf dem Gesicht des Kaisers Verwunderung aus. Er nahm Balaschew unter den Arm und ging mit ihm durch den Saal, wo sich sogleich eine weite Gasse vor ihm öffnete. Boris bemerkte das aufgeregte Gesicht Araktschejews, des Kriegsministers, welcher Balaschew neidisch nachsah und dem Kaiser folgte.
Aber der Kaiser bemerkte ihn nicht und ging mit Balaschew in den hell erleuchteten Wintergarten.
Während Boris tanzte, quälte ihn beständig die Neugierde, was Balaschew Neues zu melden hatte, und wie er das früher als andere erfahren könnte. Als er eine Dame zu wählen hatte, flüsterte er Helene zu, er wolle die Gräfin Potocki auffordern, welche auf den Balkon hinausgegangen sei. Er glitt über das Parkett bis zur Eingangstür des Saales, und als er den Kaiser auf der Terrasse erblickte, hielt er an. Der Kaiser hatte sich mit Balaschew der Tür wieder zugewandt. Boris drückte sich diensteifrig, als ob er nicht mehr Zeit habe, zurückzutreten, an die Wand und senkte den Kopf.
Mit der Aufregung eines persönlich beleidigten Mannes sprach der Kaiser folgende Worte: »Ohne Kriegserklärung in Rußland einzufallen! Ich werde nur dann Frieden schließen, wenn nicht ein bewaffneter Feind mehr auf meinem Boden steht«, sagte er. Der Kaiser schien über die Ausdrucksform seines Gedankens sehr befriedigt zu sein, aber unzufrieden darüber, daß Boris seine Worte gehört hatte.
»Es soll niemand davon erfahren«, fügte der Kaiser mit finsterer Miene hinzu. Boris begriff, daß das ihm galt, schloß die Augen und
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