Verrueckt nach Liebe
Kapitel eins
Lily Darlington hasste es, wenn man sie für verrückt hielt. Lieber hätte sie sich als Zicke bezeichnen lassen – oder gar als blöde Zicke –, weil sie wusste, dass sie keins von beidem war und auch nie gewesen war. Jedenfalls nicht mit Absicht. Doch sobald jemand das v-Wort vor Zicke setzte, ging Lily tatsächlich wie eine verrückte Zicke auf jemanden los.
Zumindest hatte sie das früher getan, als sie noch impulsiver gewesen war und ihre Gefühle nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Als sie in null Komma nichts auf hundertachtzig war. Als sie Jimmy Joe Jenkins in der dritten Klasse Milch über den Kopf geschüttet und in der sechsten die Luft aus Sarah Littles Fahrradreifen gelassen hatte. Als sie noch geglaubt hatte, dass jede Aktion nach einer Reaktion verlangte. Als sie noch unbesonnen gewesen und gelegentlich übers Ziel hinaus geschossen war – zum Beispiel, als sie mit ihrem Ford Taurus ins Wohnzimmer ihres Exmanns gerast war.
Aber in letzter Zeit war sie nicht übers Ziel hinausgeschossen. Mittlerweile war sie in der Lage, ihre Emotionen im Zaum zu halten. Inzwischen war sie eine seriöse Geschäftsfrau und Mutter eines zehnjährigen Sohnes. Sie war achtunddreißig und hatte hart an sich gearbeitet, um das »verrückt« aus ihrem Leben und vor ihrem Namen zu verbannen.
Lily schnappte sich eilig ihre Tote Bag und verließ ihren Friseur- und Schönheitssalon Lily Belle durch die Hintertür. Da sie für ihren letzten Schneiden-und-Färben-Termin länger gebraucht hatte als erwartet, war es schon nach sieben. Sie musste gut hundert Kilometer fahren, ihrem Sohn ein Abendessen zaubern, ihm bei den Hausaufgaben helfen und ihn in die Badewanne scheuchen. Sobald er im Bett war, stand auf ihrer To-do-Liste noch, die Goodie-Bags für ihre Sonderaktion am nächsten Samstagabend zusammenzustellen.
Eine vereinzelte Glühbirne leuchtete über ihrem Kopf, während sie die Tür abschloss. Die kalte Nachtluft strich über ihre Wangen, und eine leichte Brise fuhr unter ihren Wollmantel. Es war Ende März im Texas Panhandle und abends immer noch so kalt, dass ihr Atem in einer Wolke vor ihrem Gesicht hing.
Solange sie zurückdenken konnte, hatten die Leute sie als verrückt bezeichnet. Die verrückte Lily Brooks. Dann hatte sie diese Ratte Ronnie Darlington geheiratet, und sie hatten sie die verrückte Lily Darlington genannt.
Als sie zu ihrem Jeep Cherokee lief, hallte das Klappern ihrer Stiefelabsätze vom Müllcontainer wider. Mit dem Daumen auf dem Funkschlüssel entriegelte sie die Türen, und die Heckklappe sprang auf. Sie stellte ihre schwere Tote Bag neben die Kisten mit Haut- und Haarpflegeprodukten und klappte den Kofferraum wieder zu.
Okay, vielleicht war sie während ihrer Ehe ein kleines bisschen verrückt gewesen, aber ihr Exmann hatte sie auch verrückt gemacht. Er hatte mit der Hälfte der weiblichen Bevölkerung von Lovett, Texas geschlafen. Er hatte sie nach Strich und Faden betrogen und ihr weisgemacht, sie sähe Hirngespinste. Er war ein so brillanter Heimlichtuer gewesen, dass sie schon fast selbst geglaubt hatte, es wäre nur Einbildung. Doch dann hatte er sie wegen Kelly dem Flittchen abserviert. Sie erinnerte sich nicht mal mehr an Kellys Nachnamen, aber er war von heute auf morgen ohne jeden Skrupel ausgezogen. Zudem hatte er sie allein mit einem Stapel Rechnungen, einem leeren Kühlschrank und einem zwei Jahre alten Jungen zurückgelassen.
Er hatte geglaubt, er könne ein neues Leben anfangen und würde damit davonkommen, sie vor allen bloßzustellen. Er hatte tatsächlich gedacht, sie würde es einfach so hinnehmen, und das hatte sie mehr als alles andere dazu gebracht, mit ihrem Wagen in sein Wohnzimmer zu rasen. Sie hatte weder ihn noch sonst jemanden umbringen wollen. Er war zu der Zeit nicht mal zu Hause gewesen. Sie hatte ihn nur wissen lassen wollen, dass er sie nicht einfach so wegwerfen konnte. Dass er nicht einfach so gehen konnte, ohne genauso zu leiden wie sie selbst. Doch er hatte nicht gelitten. Lily war mit einer Gehirnerschütterung und einem gebrochenen Bein im Krankenhaus gelandet, während ihm das Ganze – von seinem kaputten Fernseher mal abgesehen – am Arsch vorbeigegangen war.
Sie schloss sich in ihrem SUV ein und ließ den Motor an. Der rote Jeep Cherokee war der erste Neuwagen, den sie sich jemals angeschafft hatte. Noch bis vor einem Jahr hatte sie immer Gebrauchtwagen gekauft. Aber der Erfolg ihres Friseur- und Schönheitssalons ermöglichte es
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