Kuckuckskind
scharfes Messer einfach in die Tasche stecken!«
Ich nicke verlegen; es ist wieder einmal eine meiner typischen Fehlleistungen, die sich in letzter Zeit so häufen. Natürlich hätte das Messer im Sekretariat bleiben und schließlich einem Erziehungsberechtigten ausgehändigt werden müssen.
Als ich müde zu Hause ankomme, will ich eigentlich ein paar Vitamine zu mir nehmen, aber die Fruchtfliegen haben sich über meine Obstvorräte [32] hergemacht. Also schmiere ich mir ein Brot mit Nougatcreme und löse beim Essen ein Sudoku, das bald immer ekliger aussieht. Ich habe mich bereits ein paarmal vertan, radiere auf dem schmierigen Papier herum und schäme mich plötzlich. Sollte ich nicht besser die Obstschale auswaschen? Doch ich kann mich nicht aufraffen. Die Begegnung mit Steffen hat mich aufgewühlt und alte Erinnerungen geweckt.
Unser geliebtes Häuschen, zum Beispiel. Sicher, es gehörte niemals mir, sondern Gernot. Aber wie viel Arbeit und auch Geld hatte ich hineingesteckt! Das leicht heruntergekommene Bauernhaus war durch meine Initiative zu einem kleinen Schmuckstück geworden, vor allem der Garten war wunderschön. Ich hatte den Hof von mehreren Beton- und Schuttschichten befreien und mit Muttererde auffüllen lassen. Dabei hatte ich auch einen alten Brunnen entdeckt und wieder instand setzen lassen. Schließlich hatte ich niedrige Buchshecken gepflanzt und den ehemaligen Hof in einen kleinen Klostergarten verwandelt, der mit schmalen Kieswegen und Rosenrondellen zu meinem Refugium wurde.
Bestimmt pflegt jetzt niemand mehr den Garten; zwischen den Rosen werden sich Brennnesseln breitmachen, Windenknöterich wird über die Wege wuchern, Hahnenfuß das Immergrün ersticken. Mir [33] kommen die Tränen. Früher hatte ich stets eine blassrosa Rose auf meinem Schreibtisch stehen, doch bei meiner jetzigen Wohnung ist Hopfen und Malz verloren. Ein Arbeitszimmer besitze ich sowieso nicht mehr, meine Schreibsachen erledige ich auf dem schmuddeligen Linoleum des Küchentischs. Alles ist hier zu eng, zu niedrig, zu finster, zu hässlich. Ich sollte mir lieber heute als morgen etwas Besseres suchen, denn dieses Loch war nur eine Notlösung gewesen. Hier würde wohl jedem die Decke auf den Kopf fallen.
[34] 3
Schon oft habe ich mir den Kopf zerbrochen, ob Birgit und Steffen wissen, warum ich mich so plötzlich von meinem Mann getrennt habe. Immerhin sehe ich Birgit fast jeden Tag, aber sie hat mich nie ausgefragt. Sie gab sich zufrieden mit meiner Aussage, dass wir uns auseinandergelebt hätten.
»Kann passieren«, meinte sie. »Fast alle meine Freundinnen haben sich nach einigen Jahren von ihren Partnern getrennt. Es ist eben nicht mehr so wie bei unseren Eltern.«
Wer wohl die Schlampe war, mit der ich Gernot erwischt habe? Ich weiß nicht, ob sie immer noch seine Freundin ist, ob sie damals zum ersten Mal auf unserem Sofa lag oder ob sie inzwischen in unser Häuschen eingezogen ist. Eigentlich will ich es auch gar nicht wissen.
Zweimal war ich noch dort, zu Tageszeiten, wo ich sicher sein konnte, dass Gernot nicht auftauchte. Es sind nicht viele Gegenstände, die ich mitgenommen habe, darunter kein einziges Möbelstück. Alles, was wir uns gemeinsam angeschafft haben, [35] ließ ich stehen, auch das Auto. Nur ganz persönliche Sachen, meine Kleider, ein paar Bücher, das Besteck meiner Großmutter und mein Sparbuch habe ich geholt. Sogar meine Akten stehen noch im Regal, weil ich hier überhaupt keinen Platz dafür habe.
Manchmal denke ich, dass unsere Unfruchtbarkeit auch etwas Gutes hatte. Wie sehr hätte ein Kind unter unserer Trennung gelitten! Doch wäre es vielleicht nie zu einer so hässlichen Szene gekommen, wenn Gernot während meiner Chorproben auf ein Baby hätte aufpassen müssen.
Meine Mutter zeigte wenig Mitgefühl. Sie billigte die Scheidung überhaupt nicht. Ich deutete an, dass Gernot mich betrogen hat. »Na und?«, sagte sie. »Du bist nicht die Einzige, der das passiert.«
Sie ist wahrscheinlich so sauer, weil sie die Hoffnung auf ein Enkelkind erst einmal begraben muss. Die einzige Chance, so denkt sie wohl, ist ein neuer Partner, und zwar schnell! Mit ihrer Einladung, zwei gemeinsame Wochen in einem österreichischen Wellnesshotel zu verbringen, will sie mich auf Trab und dann an den Mann bringen.
»Kind, warum nimmst du denn nicht ein bisschen Make-up? Ich sehe ja ein, dass man sich als Lehrerin nicht aufdonnern will, aber man braucht doch nicht gar so blass und grau
Weitere Kostenlose Bücher