Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
1. Kapitel – Tia
Glück auf Kosten anderer hat seinen Preis. Seit sie Nathan das erste Mal geküsst hatte, rechnete Tia damit, dass etwas Schlimmes passieren würde. Seit mittlerweile einem Jahr wartete sie auf irgendeine Art von Strafe – die Strafe dafür, dass sie verliebt war. Und wie immer diese Strafe aussehen würde, sie war überzeugt davon, dass sie sie verdient hatte.
Nach ihrem gemeinsamen Restaurantbesuch an diesem späten Sonntagmittag kam sie sich vor wie gemästet. Deftige Vorspeisen, schwere Salatsoßen und durchwachsenes Fleisch, all das rumorte jetzt in ihrem Magen. Von der Schwarzwälder Kirschtorte hatte sie noch einen ganz klebrigen Mund. Als Nathan sich reuevoll den Bauch tätschelte, dämmerte ihr, dass sie mit ihm in mehr als nur einer Hinsicht sündigte.
Seit ihrer Kindheit hatte sie eine Abneigung gegen schwere Kost. Anstatt sich zum Mittagessen zu treffen, hätte sie lieber bis zum nächsten Tag gewartet und sich mit ihm an der Uferpromenade auf eine Decke gesetzt, um sich das Feuerwerk anzusehen und die Musik der Boston Pops anzuhören. Der 4. Juli war ein Feiertag, an den nicht allzu große Erwartungen geknüpft waren; der perfekte Tag für sie beide.
Nathan drückte ihr die Hand, als sie zu ihrer Wohnung gingen. Sein offensichtlicher Stolz beglückte sie. Sie war vierundzwanzig, er siebenunddreißig, und es war das erste Mal, dass ein gestandener Mann sie liebte. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, entdeckte sie liebestrunken etwas Neues an ihm – Besonderheiten, von denen sie nie jemandem erzählen würde, wie zum Beispiel, dass seine Hände eher an die eines Cowboys erinnerten als an die eines Professors. Vielleicht hätte sie an derlei Dingen nichts Besonderes gefunden, wenn sie als Kind nicht ohne Vater hätte aufwachsen müssen, doch so waren sie für Tia Anlass zu grenzenloser Bewunderung.
Vergangene Woche war er ihr wie Superman erschienen, als er mit einer Werkzeugkiste kam, um einen Duschkopf anzubringen, der am Ende sogar einen ordentlichen Wasserstrahl produzierte. Mit einer roten Schleife hatte er eine Karte am Griff der Kiste befestigt, auf der stand: »Die bleibt hier!«
Aus der Karte hatte sie geschlossen, dass er vorhatte, das Werkzeug noch öfter zu benutzen.
Kein Geschenk hätte ihr eine größere Freude bereiten können.
Alles an Nathan schien ihr perfekt. Muskulöse Arme. Breite Schultern. Mit seinem trockenen New Yorker Humor, der sich so wohltuend von den ordinären Albernheiten der Jungs in South Boston unterschied, mit denen sie früher ausgegangen war, brachte er sie zum Lachen, während seine natürliche Autorität ihr das Gefühl gab, bei ihm sicher und beschützt zu sein. Sie brauchte ihn wie die Luft zum Atmen. Wenn sie mit dem Daumen an seinen Fingern entlangfuhr, bestand ihre Welt aus dieser körperlichen Verbindung. Ihr Leben drehte sich nur noch um ihn.
In dem Jahr, seit sie zusammen waren, hatte sie viele Tränen vergossen. Ein verheirateter Familienvater konnte nicht viel Zeit erübrigen.
Als sie das Zweifamilienhaus erreichten, in dem sie wohnte, trat Nathan hinter sie. Sie lehnte sich nach hinten, damit er ihren Hals küssen konnte. Er fuhr mit den Händen über ihren Körper. »Ich möchte dich immer berühren«, sagte er.
»Ich hoffe, dass sich das nie ändert.«
»Die Menschen ändern sich immer.« Tia bemerkte einen Anflug von Unbehagen in seinem Gesichtsausdruck, als er sich von ihr löste. »Du hast nur das Beste verdient.«
Meinte er damit, sie hätte es verdient, dass er immer bei ihr blieb? Tia schob den Schlüssel ins Schloss. Sie tröstete sich mit dem Gedanken, dass sie ihm wichtig war.
In der Wohnung ging Tia als Erstes ins Bad; neuerdings musste sie andauernd aufs Klo rennen. Hinterher trocknete sie sich ausgiebig die Hände ab und rückte einen antiken Parfümzerstäuber zurecht, den er ihr geschenkt hatte. Der Flakon aus rosafarbenem Kristallglas sollte optimal zur Geltung kommen in ihrer Einrichtung aus IKEA -Regalen und ausrangierten Möbeln ihrer Mutter. Wenn Nathan sie besuchte, verwandelte sich Tias Wohnung in ein Bühnenbild. Schon Stunden bevor er kam, lief sie herum und arrangierte alles neu, betrachtete jeden Gegenstand, jedes Buch, jede Vase mit seinen Augen.
Nathan hielt ihr ein Glas Wein hin, als sie ins Wohnzimmer kam. »Es ist nicht zu fassen«, sagte er. »Heute Morgen in der Einführung in die Soziologie habe ich am Rande einen Scherz von Groucho Marx zitiert – ›Ich weigere mich, einem Club
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