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Kuehles Grab

Titel: Kuehles Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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aufschreckte: »Ich habe was gesehen, ich habe was gesehen!«
    »Es war nur ein Traum«, beschwichtigte mich mein Vater und streichelte meinen Rücken.
    »Aber ich habe Angst!«
    »Du bist noch so klein, du weißt gar nicht, was richtige Angst ist. Dafür sind Daddys da.«
    Wir lebten nicht inmitten von Palmen und weißen Sandstränden. Meine Eltern sprachen nie davon, doch rückblickend wird mir heute klar, dass ein Doktor der Mathematik nicht einfach dort anknüpfen konnte, wo er aufgehört hatte, insbesondere nicht, wenn er eine neue Identität angenommen hatte. Mein Vater wurde Taxifahrer. Ich liebte seinen neuen Job, denn er fuhr nachts und konnte fast den ganzen Tag zu Hause sein. Außerdem war es großartig, mit einem Taxi von der Schule abgeholt zu werden.
    Die neue Schule war größer als die alte. Ich glaube, ich habe dort ein paar Freundschaften geschlossen, aber ich weiß kaum noch etwas aus der Zeit in Florida. Vielmehr habe ich noch eine unwirkliche Zeit und einen unwirklichen Ort in Erinnerung; meine Nachmittage waren mit Kursen in Selbstverteidigung ausgefüllt, und sogar meine Eltern erschienen mir fremd.
    Mein Vater lief unablässig in unserer Zwei-Zimmer-Wohnung herum. »Was sagst du dazu, Sally? Sollen wir zu Weihnachten eine Palme schmücken?« Mutter summte geistesabwesend vor sich hin, während sie das Wohnzimmer in einem hellen Rotton strich, kicherte, als sie sich im November einen Badeanzug kaufte.
    Ich glaube, meine Eltern waren glücklich in Florida. Oder zumindest fest entschlossen, glücklich zu sein. Meine Mutter richtete unsere Wohnung ein. Vater nahm sein Hobby wieder auf und zeichnete viel. An den Abenden, an denen er nicht arbeitete, stand ihm Mutter neben dem Fenster Modell, und ich lag auf der Couch und sah zufrieden zu, wie Vater mit ein paar kräftigen Linien das Lächeln meiner Mutter auf einer kleinen Kohlezeichnung festhielt.
    Alles war schön bis zu dem Tag, an dem ich aus der Schule kam, gepackte Koffer und grimmige Gesichter vorfand. Diesmal brauchte mich niemand zu bitten. Ich ging freiwillig in mein Zimmer, schnappte mir Boomer, meine Decke. Dann marschierte ich zum Auto und kletterte auf den Rücksitz.
    Lange Zeit sagte niemand etwas.
    Eine Familie ist ein System.
    Keine Ahnung, in wie vielen Städten wir wohnten. Oder wie viele Namen ich hatte. Meine Kindheit war zu einem Nebel aus neuen Gesichtern, neuen Orten und denselben alten Koffern geworden. Wir kamen irgendwo an, fanden ein billiges Apartment. Mein Vater zog am folgenden Tag los und hatte am Abend immer einen Job gefunden – in einem Fotolabor, als Geschäftsführer bei McDonald's oder als Verkäufer. Meine Mutter packte unsere Habseligkeiten aus, und ich ging in die neue Schule.
    Ich weiß noch, dass ich ziemlich schweigsam wurde. Meine Mutter redete auch kaum noch.
    Nur mein Vater blieb unermüdlich vergnügt. »Phoenix! Ich wollte immer schon mal die Wüste erleben … Cincinnati! Das ist meine Stadt … St. Louis! Das ist der richtige Ort für uns.«
    Ich erinnere mich nicht an andere Alpträume. Sie waren einfach weg oder wurden durch wichtigere Sorgen verdrängt. Wenn ich nachmittags heimkam, lag meine Mutter ohnmächtig auf dem Sofa. Ich lernte kochen, weil sie nicht mehr dazu imstande war, brühte Kaffee auf und zwang sie, ihn zu trinken. Durchsuchte ihre Handtasche nach Geld, um Lebensmittel kaufen zu können, bevor mein Vater nach Hause kam.
    Ich möchte glauben, dass er es hätte voraussehen müssen, aber bis zum heutigen Tage bin ich mir nicht sicher. Zumindest meiner Mutter und mir kam es vor, als würden wir jedes Mal, wenn wir einen neuen Namen annahmen, ein Stück von uns selbst hergeben. Bis wir stumm wurden, flüchtige Schatten im stürmischen Kielwasser meines Vaters.
    Meine Mutter hielt durch, bis ich vierzehn war. Kansas City. Wir blieben neun Monate. Vater war zum Manager in der Automobil-Abteilung von Sears aufgestiegen. Ich hatte vor, zum ersten Mal an einem Tanzball teilzunehmen.
    Ich kam nach Hause. Meine Mutter – Stella hieß sie zu der Zeit – lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Sofa. Diesmal konnte ich sie schütteln, wie ich wollte, sie wachte nicht auf. Ich erinnere mich noch vage, wie ich durch den Korridor rannte und an die Tür unserer Nachbarin hämmerte.
    »Meine Mutter, meine Mutter, meine Mutter!«, schrie ich. Die arme Mrs. Torres, die nie ein Lächeln oder Winken für uns übrig hatte, riss ihre Tür auf, eilte durch den Flur, schlug die Hände vor die mit Tränen

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