Küsschen, Küsschen!: Elf ungewöhnliche Geschichten (German Edition)
anwenden.»
«Findest du nicht, dass sie alle drei ziemlich grausam sind?»
«Grausam?», rief er entrüstet. «Du lieber Gott! Und wer hat in den letzten sechs Monaten fast täglich gebratenen Fasan gegessen, ohne einen Penny dafür zu bezahlen?»
Er drehte sich um und ging auf die Tür der Werkstatt zu. Ich sah ihm an, dass meine Bemerkung ihn tief verletzt hatte.
«Warte mal», sagte ich. «Geh nicht.»
«Kommst du heute Abend mit oder nicht?»
«Ja, aber ich habe noch eine Frage. Mir ist da gerade etwas eingefallen.»
«Behalt’s für dich», knurrte er. «Was verstehst du schon von Fasanen!»
«Erinnerst du dich an das Schlafmittel, das mir der Arzt vorigen Monat wegen meiner Rückenschmerzen gegeben hat?»
«Na und?»
«Warum sollte das Zeug nicht auch auf Fasanen wirken?»
Claud schloss die Augen und schüttelte mitleidig den Kopf.
«Warte», sagte ich.
«Darüber brauchen wir gar nicht erst zu reden», erwiderte er. «Kein Fasan in der Welt schluckt die lausigen roten Kapseln. Wenn dir nichts Besseres einfällt …»
«Du vergisst die Rosinen», unterbrach ich ihn. «Hör mal zu. Wir nehmen eine Beere, weichen sie ein, bis sie aufgequollen ist, machen mit einer Rasierklinge einen kleinen Einschnitt und höhlen sie ein bisschen aus. Dann öffnen wir eine von meinen roten Kapseln und schütten alles Pulver in die Rosine, worauf wir den Ritz mit Nadel und Faden sorgfältig zunähen. Nun …»
Aus den Augenwinkeln konnte ich beobachten, wie sich Clauds Mund langsam öffnete.
«Nun», fuhr ich fort, «haben wir eine hübsche, sauber aussehende Rosine, die zweieinhalb Gran Schlafpulver enthält, und jetzt will ich dir etwas sagen: Das reicht aus, einen erwachsenen Mann bewusstlos zu machen, also erst recht einen Vogel !»
Ich wartete zehn Sekunden, damit der Stoß seine volle Wirkung entfalten konnte.
«Und was noch wichtiger ist», fuhr ich fort, «diese Methode gestattet uns, in großem Maßstab zu operieren. Wenn wir Lust haben, können wir zwanzig Rosinen präparieren. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als sie bei Sonnenuntergang auf den Futterplätzen auszustreuen und dann wegzugehen. Nach einer halben Stunde fangen die Pillen an zu wirken, die Fasanen, die sich zum Schlafen auf den Bäumen niedergelassen haben, werden schwindlig, sie taumeln, suchen sich im Gleichgewicht zu halten, aber bald fällt jeder Vogel, der auch nur eine einzige Rosine gefressen hat, bewusstlos herunter. Wie Äpfel vom Baum werden sie purzeln, und wir brauchen sie nur noch aufzusammeln.»
Claud starrte mich an. «Großer Gott», murmelte er dann.
«Ein weiterer Vorteil ist, dass uns niemand erwischen wird. Wir bummeln ganz harmlos durch den Wald, lassen hier und dort ein paar Rosinen fallen, und selbst, wenn man uns beobachtet, wird kein Mensch Verdacht schöpfen.»
«Gordon», sagte er, legte die Hand auf mein Knie und sah mich mit Augen an, die groß und leuchtend wie Sterne waren. «Gordon, wenn das glückt, wird es das Wildern revolutionieren.»
«Freut mich sehr.»
«Wie viele Pillen hast du denn noch?», fragte er.
«Neunundvierzig. Fünfzig waren in dem Glas, und ich habe nur eine genommen.»
«Neunundvierzig sind nicht genug. Wir brauchen mindestens zweihundert.»
«Bist du verrückt?», rief ich.
Er ging langsam zur Tür, blieb dort stehen, mit dem Rücken zu mir, und betrachtete den Himmel.
«Zweihundert sind das Minimum», sagte er ruhig. «Wenn wir die nicht haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen.»
Was soll das?, dachte ich. Was, zum Teufel, hat dieser Bursche vor?
«Es ist unsere letzte Chance, bevor die Jagd eröffnet wird», fügte er hinzu.
«Mehr kann ich nicht kriegen.»
«Sollen wir vielleicht mit leeren Händen heimkommen? Wie?»
«Aber warum so viele ?»
Claud wandte den Kopf und blickte mich mit großen unschuldigen Augen an. «Warum nicht?», sagte er freundlich. «Hast du etwas dagegen?»
Plötzlich ging mir ein Licht auf. Mein Gott, dachte ich, der verdrehte Kerl will Mr. Victor Hazels festliche Eröffnung der Jagd torpedieren.
«Du besorgst zweihundert von diesen Pillen», befahl er. «Dann lohnt sich die Sache.»
«Das schaffe ich nie.»
«Du kannst es wenigstens versuchen, nicht wahr?»
Mr. Hazel eröffnete die Jagd alljährlich am ersten Oktober, und das war ein großes Ereignis. Schwächliche Herren in Tweedanzügen, teils Angehörige alter Adelsgeschlechter, teils Besitzer von sehr viel Geld, kamen in Begleitung ihrer Gewehrträger, Hunde und
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