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Ladylike

Ladylike

Titel: Ladylike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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reicht uns bis zur Taille, und es gelingt uns nur durch gegenseitige Hilfe, unsere drei Hinterteile auf die breite Sandsteinmauer zu wuchten. Nun hocken wir hier wie matte Vögel und schauen zum Tor mit den beiden schlanken Türmen hinüber. Unter uns schwappt leise das Wasser an die Brückenbögen, gelegentlich hört man jugendliche Stimmen oder Musik, die aus den offenen Fenstern eines Autos dröhnt.
    Luiza murmelt portugiesische Worte, von denen ich immerhin estrela und praia verstehe. Anneliese brabbelt Gedichte, die ich nicht kenne. Zum ersten Mal im Leben möchte auch ich etwas zum Besten geben und entscheide mich für: Bald gras ich am Neckar, bald gras ich am Rhein, bald hab ich ein Schätzel, bald bin ich allein. Aber mein eigener Gesang stimmt mich eher traurig, denn schon lange habe ich kein Schätzel mehr, es ist alles zum Heulen.
    »Hast du manchmal Heimweh?« frage ich Luiza.
    »Às vezes« , sagt sie, »aber mit Fernando habe ich Schluß gemacht, deswegen kann ich nicht zurück.«
    »Und jetzt willst du Ewald heiraten?« frage ich, aber sie lacht nur, anstatt zu antworten, und zwar so heftig, als hätte ich den Witz des Tages gemacht.
    »Fontana di Trevi«, summt sie und wirft den Autoschlüssel in den Neckar.
    Anneliese rührt das nicht weiter, sie rezitiert:
     
    Wie der Vogel des Walds über die Gipfel fliegt,
    Schwingt sich über den Strom, wo er vorbei dir glänzt,
    Leicht und kräftig die Brücke,
    Die von Wagen und Menschen tönt.
     
    »Seid ihr glücklich?« fragt Luiza.
    Anneliese nickt, ich schüttle heftig den Kopf.
    Aus dem Wasser winden sich grüne Schlangen, recken doppelte Köpfe mit vierfachen Zungen empor und zischen. Eine Seejungfrau winkt mir zu und entschwindet gleich wieder. Auf einmal liegt eine schmale Hand auf meiner Schulter, die sich kraftvoll an mir abstemmt. Ehe ich mich versehe, steht Luiza auf der Mauer.
    »Wir können fliegen!« jubelt sie und dreht sich zur Wasserseite. »Bis gleich, boa sorte !«
    So schnell es eben geht, haben Anneliese und ich die Beine um 180 Grad geschwenkt und lassen sie über die Außenmauer hängen. Voller Bewunderung sehen wir, wie Luiza ihre Flügel ausbreitet und abhebt. Nebel wabert über dem Wasser, aber hoch über uns schwebt mein bunter Schal, und wir verfolgen ihn mit den Augen, bis er nicht mehr zu sehen ist.
    »La Paloma, ade!« rufe ich und winke.
    Auch die verblüffte Anneliese findet ihre Sprache wieder: »Luzifera war mein Schutzengel, aber nun hat sie mich verlassen«, behauptet sie weinerlich. Aber gleich darauf beweist sie wieder, daß sie für jede Situation ein passendes Gedicht kennt:
     
    »Wann treffen wir drei wieder zusamm?«
    » Um die siebente Stund, am Brückendamm.«
     
    Abrupt bleibt sie mitten in Fontanes Ballade stecken, denn wir hören die vertrauten Stimmen von Ewald und Andreas: »Sie haben sich bestimmt nicht weit vom Wagen entfernt, Luiza ist nicht gut zu Fuß!«
    »Anneliese auch nicht.«
    Bei der Nennung ihres Namens packt meine Freundin das blanke Entsetzen.
    »Weh mir! Die Dämonen!« kreischt sie und rutscht nach vorn, um sich abzustoßen.
    Mit aller Kraft will ich sie festhalten, aber durch ihr schweres Gewicht reißt sie mich mit, und wir fallen. Ich höre noch den gewaltigen Fanfarenstoß der Engelstrompete, um mich explodiert tausendfaches Glas, der Schmerz zerreißt mir alle Glieder, dann zieht mich eine eiskalte Nixenhand auf den Grund.
     
    Irgendwann geht das Geheule der Engelstrompete von neuem los, obwohl ich doch meinte, allem Lärm endgültig entronnen zu sein. Der Ton wird gellend und rhythmisch, dringt mir durch Mark und Bein, empfängt mich in einem gleißenden Zwischenreich. Wo sind meine Schwestern hingeflogen? Was für ein dickes, kratziges Fell klebt an meinem Körper bis hinauf zum Kinn? Welcher Vampir sticht mir in die Armbeuge? Unter keinen Umständen darf ich die Augen öffnen.
    »Sie kommt zu sich«, sagt jemand, aber das lehne ich ab. Viel lieber werde ich spazierengefahren, geschaukelt und getragen, ausgewickelt, ausgezogen, gebadet, angezogen und eingewickelt, denn ich bin wieder ein ganz kleines Kind.
    »Mama!« rufe ich und muß mich übergeben.
    »Bin mal gespannt, was die im Labor herauskriegen«, sagt eine fremde Frauenstimme.
     
    Als ich langsam die Augen aufschlage und mich umschaue, liege ich in einem Krankenhauszimmer. Außer mir ist niemand im Raum, die Sonne scheint durch das Fenster und blendet mich. Ich habe Durst. Auf dem Nachttisch steht ein blauer Plastikbecher

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