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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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fragte sie.
    »Wir haben uns unterhalten«, sagte Bernhard, »alte Erinnerungen ausgetauscht.«
    »Über die alten Zeiten geplaudert«, sagte sie spöttisch, und plötzlich errötete sie und sah verschreckt zu mir.
    »Jaja«, sagte Bernhard, »über die gute alte Zeit.«
    In den nächsten fünf Jahren lief alles normal für uns. Es gab ein paar kleine Verbesserungen für uns Geschäftsleute, unsere Beschwerden wurden ernst genommen, und drei aus unserem Klub wurden sogar Mitglieder der Stadtvertretungund konnten dort die dümmsten Dummheiten verhindern. Dann kam es für mich überraschend zu den Ereignissen in Berlin und Leipzig, die Parteileute und die Polizei verkrochen sich, die Leute rannten auf die Straße und gebärdeten sich, als ob gebratene Ferkel durch die Luft flögen.
    In Guldenberg kam es zu einigen spontanen Versammlungen, so genannten Bürgerforen, bei denen ein paar aufgeregte Lehrer, einige Mitglieder des Gemeindekirchenrates und ein paar jugendliche Schreihälse lautstark das Wort führten. Unser Kegelklub hielt sich zurück. Wir hatten uns nicht abgesprochen, doch keiner von uns tat sich dabei irgendwie hervor. Wir hatten zu viel kommen und gehen sehen, als dass wir vor Entzücken gleich den Verstand verlieren, wenn ein paar Schreimätze, die noch grün hinter den Ohren sind und keinerlei Erfahrung mit politischen Versprechungen und der dann folgenden Realität haben, wilde Reden von sich geben. Wir alle ließen uns jedenfalls nicht von der Begeisterung mitreißen, die die Stadt und das ganze Land offensichtlich erfasst hatte, sondern blieben ruhige Beobachter. Aus dem Rathaus hörten wir zudem, dass der Spuk in spätestens einer Woche vorbei sei und die zuständigen Kräfte der Polizei und Armee wieder Normalität herstellen würden. Dann öffnete sich in Berlin die Mauer, der Bürgermeister erschien auf den Bürgerforen und redete nun selber wie die zuvor von ihm beschimpften Kleinbürger, und die an die Anschlagsäulen und Geschäftsfenster geklebten Aufrufe und Losungen wurden nicht mehr abgerissen.
    Unser Klub traf sich am Sonntagabend im Adler. Wir setzten uns in den Gastraum der Kegelbahn, um ungestört zu beraten, was die Veränderungen für uns und die Stadt bringen könnten. Wir einigten uns darauf, dass Wessenburg, sobald die Lage etwas klarer sei, neuer Bürgermeister werden sollte. Wir würden ihn aufstellen und ihn wie einMann unterstützen und waren sicher, dass wir ihn durchbekommen würden. Schmöckel riet uns, alle alten Papiere durchzusehen, denn er vermute, dass das von den Russen und den Kommunisten enteignete Eigentum über kurz oder lang zurückgegeben werde, und da solle jeder seine Rechtstitel parat haben.
    Noch in der gleichen Nacht holte ich die beiden Aktenordner vom Dachboden und sah die Papiere durch. Mein Vater hatte alles sorgfältig abgeheftet, die uralten Grundbuchauszüge, die Zahlungsbelege der Grundstückssteuer, die Beschlagnahmebescheinigungen, die Zeitungsartikel der Bezirkspresse, in denen er als Kulak bezeichnet wurde, die aber auch den früheren Besitz der Familie Kitzerow vollständig aufführten und somit als zusätzlicher Nachweis meiner Ansprüche gelten konnten. Als ich mit den Aktenordnern durch war, trank ich ein Glas auf meinen alten Herrn, er hatte nichts weggeworfen, er hatte im Unterschied zu mir bis zu seinem Tod daran geglaubt, eines Tages alles wieder zurückzubekommen, und daher sorgfältig Buch geführt. Dass die beiden Bürgerhäuser am Paradeplatz uns einmal gehört hatten und die drei Kiesgruben, das wusste ich noch, ich fand jedoch außerdem Unterlagen für einen Wald und den Titel auf den Alaunteich, von dessen ursprünglichem Familienbesitz ich nichts wusste.
    Drei Monate später wurden mir die Kiesgruben zurückgegeben. Ich verhandelte mit der Treuhand und erhielt die zwei Eimerbagger und den Kranbagger, die das frühere Kombinat gekauft und an meinen Gruben aufgestellt hatte, als Ausgleich für den entgangenen Gewinn der letzten Jahrzehnte gegen eine Abstandserklärung kostenfrei dazu. Ich übernahm drei Leute der früheren Besatzung, stellte vier Arbeiter ein, die ich kannte, und baute eine effektivere Firma auf, als es die Kiesgruben je zuvor waren. Im Frühjahr zeichnete es sich ab, dass sich der Straßenbau in unserer Region heftig beleben würde, und ich bestellte vorsorglicheinen weiteren Bagger für den Sommer. Auf dem Sägeplatz erschien ich bloß noch für Stippvisiten, die Leitung dieses Geschäfts überließ ich Hubert,

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