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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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zusammengekrümmt, sodass er an eine kleine braune Fledermaus erinnerte, die grob ins grelle Sonnenlicht gezerrt worden war.
    Die Zeitungen bezeichneten Catherine als »Thanksgiving-Wunder«. Ihre Eltern nahmen sie mit nach Hause. Nachbarn und Verwandte gaben sich die Klinke in die Hand und wiederholten unablässig Sätze wie: »Oh, Gott sei Dank!« und »Gerade noch rechtzeitig vor den Feiertagen!« und »Ach, ist es zu fassen ...!«
    Catherine saß nur da und ließ die Gespräche über sich hinwegbranden. Heimlich stibitzte sie Essen von den übervollen Tellern und steckte es in ihre Kleidertaschen. Den Kopf hielt sie gesenkt, die Schultern hatte sie bis zu den Ohren hochgezogen. Sie war noch immer die kleine Fledermaus, und aus unerklärlichen Gründen empfand sie das Licht als aufdringlich.
    Weitere Polizisten erschienen. Sie berichtete ihnen von dem Mann und dem Auto. Dann zeigte man ihr Fotos. Sie deutete auf eines. Später – nach Tagen oder Wochen, spielte das eine Rolle? – wurde sie zum Polizeirevier gebracht, betrachtete eine Reihe nebeneinander stehender Männer und deutete feierlich noch einmal mit dem Finger.
    Sechs Monate später wurde Richard Umbrio vor Gericht gestellt. Und drei Wochen nach Prozessbeginn trat Catherine in einem schlichten blauen Kleid und polierten Lackschuhen in den Zeugenstand. Ein letztes Mal deutete sie mit dem Finger, und Richard Umbrio wurde für den Rest seines Lebens weggesperrt.
    Catherine Rose kehrte mit ihren Eltern nach Hause zurück. Sie aß kaum etwas. Viel lieber steckte sie die Lebensmittel in die Tasche oder hielt sie einfach in der Hand. Sie schlief auch nicht viel, sondern lag in der Dunkelheit, während ihre blinden Fledermausaugen nach etwas suchten, das sie nicht beim Namen nennen konnte. Oft hielt sie sich ganz ruhig, um festzustellen, ob sie atmen konnte, ohne ein Geräusch zu machen.
    Manchmal stand ihre Mutter in der Tür, die unruhig zitternden bleichen Hände vor das Schlüsselbein haltend. Nach einer Weile hörte Catherine ihren Vater dann über den Flur hallen. Komm ins Bett, Louise. Sie ruft dich schon, wenn sie dich braucht. Aber Catherine rief nie. Die Jahre vergingen. Catherine wurde erwachsen, hielt ihre Schultern wieder gerade, ließ sich die Haare wachsen und stellte fest, dass sie eine dunkle und sinnliche Schönheit besaß, die Männer mitten im Gehen innehalten ließ. Sie hatte weiße Haut, schimmerndes schwarzes Haar und riesige dunkelblaue Augen. Die Männer verzehrten sich nach ihr. Und Catherine nutzte sie skrupellos aus. Es war nicht ihre Schuld. Und die Männer konnten auch nichts dafür. Catherine hatte einfach keine Gefühle.
     
    Ihre Mutter starb 1994. Krebs. Bei der Beerdigung stand Catherine am Grab und versuchte zu weinen. Aber ihr Körper war ausgedörrt, und ihre Schluchzer klangen hohl und unecht. Sie ging nach Hause in ihre kahle Wohnung und versuchte, nicht mehr daran zu denken. Doch manchmal, aus heiterem Himmel, sah sie ihre Mutter wieder in der Tür ihres Zimmers stehen. »Komm ins Bett, Louise. Sie ruft dich schon, wenn sie dich braucht.« Hallo, Kleine ... ich suche einen entlaufenen Hund.
     
    November 1998. Das »Thanksgiving-Wunder« lag nackt und zusammengekrümmt in der weißen Porzellanwanne. Ihr abgemagerter Körper zitterte vor Kälte, und ihre Faust umklammerte das Rasiermesser. Etwas Schreckliches würde geschehen. Eine Dunkelheit, die alles bisher Dagewesene übertraf.
    Komm ins Bett, Louise. Sie ruft dich schon, wenn sie dich braucht.
    Hallo, Kleine ... Ich suche einen entlaufenen Hund.
    Die Klinge, so schlank und leicht in ihrer Hand. Das Gefühl, wie ihre Kante das Handgelenk küsste, so als gehöre das warme, rote Blut, das über ihre Haut rann, einer anderen. Dann läutete das Telefon. Ein einziger Anruf rettete ihr das Leben. Wieder ein »Thanksgiving-Wunder«.
     
    Sie erinnerte sich. Im Hintergrund plärrte der Fernseher: Ein bewaffneter Verdächtiger hat sich in seinem Haus verschanzt, nachdem er mehrfach auf seine Nachbarn geschossen hatte. Ein Sprecher des Bostoner Sondereinsatzkommandos bezeichnete die Lage als höchst brisant und äußerst gefährlich.
    Ihr Sohn schluchzte in ihren Armen: »Mommy, Mommy, Mommy. «
    Und von unten brüllte ihr Mann: »Ich weiß, was du da treibst, Cat! Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Aber es wird nicht klappen. Damit kommst du nicht durch!« Jimmy stürmte die Treppe hinauf zum Schlafzimmer.
    Das Telefon hatte Catherine schon einmal gerettet. Nun

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