Laura und das Labyrinth des Lichts
Alienor kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Weil sie den Menschenkindern ihre Existenz verdanken?«
»Genauso verhält es sich«, bestätigte der Weiße Ritter. »Aber seltsamerweise gibt es sie auf unserem Schwestergestirn nicht mehr.«
»Und warum nicht?«
»Das wissen wir nicht genau«, mischte Morwena sich ein. »Vielleicht befürchten die Menschen, dass diese zauberhaften Wesen auf der Erde Schaden erleiden. Oder dem alltäglichen Leben dort nicht gewachsen sind. Wie auch immer …« Die Heilerin zuckte mit den Schultern. »Fest steht, dass die Einhörner auf dem Menschenstern nicht heimisch sind, sondern ausschließlich bei uns in der Welt der Mythen existieren.«
Für einen Augenblick starrte das Mädchen in die zuckenden Flammen, als suche es dort Rat. Dann wandte es sich wieder an die Lehrmeisterin. »Aber wenn die Einhörner ihr Dasein den Erdenbewohnern verdanken, weshalb stehen sie dann unter dem besonderen Schutz der Geister, die über den Lauf der Welten bestimmen?«
»Vielleicht genau aus diesem Grund!«, antwortete Morwena. »Weil die Geister den Menschen niemals zugetraut hätten, ein Geschöpf von solcher Vollkommenheit zu schaffen, das treu auf der Seite des Lichts steht. Deshalb haben die Geister den Einhörnern auch die nötigen Fähigkeiten verliehen, um die Welt vor Beliaal zu schützen, dem Herrn der Finsternis. Solange noch ein Einhorn im Karfunkelwald lebt, wird es Beliaal nicht gelingen, sein dunkles Reich auf den hellen Tag auszudehnen.«
Alienor nickte erleichtert. »Habt Ihr Euch deshalb so sehr über die Geburt der Einhornprinzessin gefreut?«
»Du hast es erraten.« Die Heilerin lächelte. »Bei den Einhörnern verhält es sich nämlich ähnlich wie bei den Bienen: Nur ihre Königin kann Nachwuchs bekommen. Aber da sie äußerst scheue Wesen sind und zurückgezogen leben, kommt das äußerst selten vor. Und noch viel seltener wird eine neue Königin geboren. Dies geschieht nur in den Jahren, in denen zur Mittsommernacht unsere beiden Monde im vollen Licht über dem Karfunkelwald stehen und dem neu gewachsenen Horn seine besonderen Zauberkräfte verleihen. Alles, was die künftige Einhornkönigin damit berührt, wird rein. Steckt sie es zum Beispiel in einen Fluss oder See, wird sein Wasser von allem Unreinen und selbst von den stärksten Giften und schwarzmagischen Elixieren befreit.«
Das Mädchen schluckte. »Und was passiert, wenn es keine neue Königin gibt?«
»Das hätte schreckliche Folgen.« Morwenas Miene verdüsterte sich. »Nicht nur für die Einhörner, sondern vermutlich für uns alle.«
»Ohne neue Königin wären die Einhörner zum Aussterben verurteilt«, ergriff der Weiße Ritter wieder das Wort. »Auch wenn ihnen ein langes Leben beschieden ist, sind sie keineswegs unsterblich. Ohne Königin gäbe es keine Füllen mehr. So wäre der Tag absehbar, an dem das letzte Einhorn im Karfunkelwald stirbt und niemand mehr verhindern kann, dass Beliaal sein dunkles Reich auf den lichten Tag ausweitet.«
Die entsetzte Miene ihrer Elevin blieb Morwena nicht verborgen. »Keine Angst, Alienor«, warf sie rasch ein. »So etwas ist noch niemals vorgekommen. Und dabei versucht Beliaal schon seit Urzeiten, die jeweilige Prinzessin in seine Gewalt zu bringen und sie während der Mittsommernacht im Herzen der Finsternis einzuschließen.«
»Damit würde sie ihre Zauberkräfte verlieren«, nahm Paravain den Faden auf, »und könnte die Nachfolge ihrer Mutter nicht antreten. Womit der Dämon sein Ziel erreicht hätte!«
Nach einem Moment des Schweigens schüttelte das Mädchen den Kopf. »Das verstehe ich nicht«, sagte es. »Es würde doch reichen, wenn er die Prinzessin tötet!«
»Das könnte man meinen, ja.« Der Weiße Ritter nickte. »Allerdings würde Beliaal damit gleichzeitig dafür sorgen, dass die schwarzen Einhörner aussterben – und daran ist ihm am allerwenigsten gelegen.« Und damit hob Paravain an, die Elevin in das Geheimnis der schwarzen Einhörner einzuweihen.
D as Unterkunftsproblem löste sich schneller, als Laura befürchtet hatte. Ihr fiel ein, dass ihre Eltern den Bungalow am Stadtrand von Hohenstadt bereits vor ihrer Geburt bewohnt hatten. Da ihr Vater Marius während der Woche in seinem Zimmer im Internat schlief und die Mutter sich im Krankenhaus befand, musste das Haus im Augenblick leer stehen. Ein besseres Nachtquartier konnte sie sich nicht wünschen!
»Okay, Auriel«, sagte sie erleichtert. »Ich weiß, wo wir schlafen. Komm
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