Laura und das Labyrinth des Lichts
mit!«
Laura drehte sich um und wollte gehen, als sie zu ihrer Verblüffung bemerkte, dass der Wolkentänzer keine Anstalten machte, ihr zu folgen. »Was ist los?«, fragte sie. »Willst du vielleicht hier übernachten?«
»Du sagst es. Genau das habe ich vor«, antwortete Auriel. »Oder hast du bereits vergessen, worin meine Aufgabe besteht?«
»Ich bin doch kein Spar-Kiu!«, brummte das Mädchen leicht ungehalten. »Du sollst auf mich aufpassen, nicht wahr?«
»Eben!« Der Wolkentänzer spreizte bedeutsam die Schwanenschwingen. »Ich bin zwar zeitlos, aber zweiteilen kann ich mich trotzdem nicht. Deshalb muss ich entscheiden, wen von euch beiden ich im Auge behalte.« Er deutete auf Laura: »Dich hier!«, und dann auf ein hell erleuchtetes Fenster im zweiten Stock des Krankenhauses: »Oder die kleine Laura dort oben auf der Entbindungsstation. Und du wirst mir sicherlich zustimmen, dass dieses kleine Mädchen meine Hilfe dringender benötigt als du.«
Als Laura sich von Auriel verabschiedete, war ihr reichlich schwer ums Herz. Zwar war sie überzeugt davon, dass sie ihn wiedersehen würde, aber wann und wo, das wussten nur die Geister, die über den Lauf der Welten bestimmten. Solange das Mädchen sich nämlich in der eigenen Vergangenheit aufhielt, würde stets auch ihr jüngeres Ich anwesend sein. Und wann immer Auriel der Ansicht war, dass dieses Kind seinen Schutz mehr benötigte als Laura in ihrer Traumgestalt, war sie ganz auf sich allein gestellt.
Außerdem würde ihr auch sonst keine Menschenseele zur Seite stehen. Sie war mehr als vierzehn Jahre in der Zeit zurückgereist, und niemand kannte hier die vierzehnjährige Laura. Nicht einmal ihre Mutter oder ihr Vater würden sie erkennen. Es war also bestimmt besser, wenn sie einem Zusammentreffen aus dem Weg ging. Nicht nur mit ihren Eltern, sondern am besten mit allen Leuten, die ihr Aufwachsen begleitet hatten.
Vom Krankenhaus bis zum Bungalow der Leanders war es zum Glück nicht weit. Natürlich hätte Laura auch eine Traumreise dorthin machen können, genau wie sie sich nächtliche Wartezeiten ersparen und sich gleich in den nächsten Tag hätte träumen können. Allerdings hatte Auriel ihr eingeschärft, es mit den fantastischen Reisen nicht zu übertreiben und diese auf das Nötigste zu beschränken. Wenn sie zu häufig durch Raum und Zeit reiste, konnte sie sich zwischen den Welten verlieren und fand womöglich nicht mehr in ihren Körper zurück.
Dabei strengten Laura diese wundersamen Ausflüge im Gegensatz zu früher kaum an. Der Grund dafür war ebenso einfach wie einleuchtend: Da sie sich nun fortwährend auf Traumreise befand und ihre Traumgestalt ständig beibehielt, schlüpfte sie nicht mehr in ihre körperliche Hülle zurück. Dadurch blieb ihr die Müdigkeit erspart, deren Auswirkungen nur ihr Körper empfand.
Nur zehn Minuten später stand Laura vor dem Walmdachbungalow ihrer Eltern. Inzwischen schneite es nicht mehr, und die dunklen Wolken waren aufgerissen. Ein voller Mond stand am Himmel und ergoss sein silbriges Licht auf die dünne Schneedecke, die Haus und Garten einhüllte. Laura erschien alles seltsam fremd. Klar – der Bungalow war erst vor einem Jahr erbaut worden und wirkte deshalb noch neu und wenig wohnlich. Auch der Garten, der das Gebäude umgab, sah unfertig aus. Trotz des Schnees konnte Laura erkennen, dass eine Hälfte noch nicht bepflanzt worden war. Die Pflanzen, Gehölze und Bäume in der kultivierten Hälfte waren noch ziemlich klein.
Die Eingangstür war verschlossen. Laura schickte sich schon an, das Schloss mit Hilfe ihrer telekinetischen Kräfte zu öffnen, als ihr ein Gedanke kam: Bestimmt hatte ihr Vater bereits damals die Angewohnheit gehabt, den Hausschlüssel unter der Fußmatte vor der Terrassentür aufzubewahren! Rasch stapfte sie zur Rückseite des Hauses und hob die Matte an. Und tatsächlich: In einer kleinen Vertiefung zwischen den steinernen Bodenplatten schimmerte ein Schlüssel im Mondlicht.
Laura bückte sich gerade danach, als sie aus den Augenwinkeln einen dunklen Schatten in der Glasscheibe der Tür wahrnahm. Gleichzeitig war ihr, als würde eine eiskalte Hand nach ihrem Herzen greifen. Sie zuckte zusammen, japste nach Luft und fuhr herum. Doch da war niemand. Die Terrasse lag einsam und verlassen im bleichen Mondschein. Niemand war zu sehen, weder eine Gestalt noch ein Schatten. Am ganzen Körper zitternd, atmete Laura erleichtert auf.
Mann, hatte sie sich erschrocken!
Zum Glück war
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