Lauras Bildnis
sich. Und dies fiel ihm in Abwesenheit der wirklichen Laura schwer.
»Sie müssen sie vergessen, dann kommt sie auf irgendeine Weise zu Ihnen zurück«, sagte Monsieur Bazin, als er merkte, daß sein Freund wieder einmal von einer Traurigkeit war, die ihn verstört wie ein verlassenes Kind wirken ließ.
»Ich lade Sie zu einem Ausflug ein, der Sie auf andere Gedanken bringen wird. Ihr großes Vorbild hat ihn vor ungefähr sechshundertfünfzig Jahren ebenfalls gemacht. Allerdings auf eine etwas unbequemere Art, wie Sie sehen werden.«
Nach diesen Andeutungen hüllte sich Monsieur Bazin in Schweigen, paffte seine schwarze Zigarette, leerte sein sechstes Glas Rotwein und ging.
Bazin hatte offenbar einen freien Tag, denn am nächsten Morgen sah man seinen Buckel über der Gartenmauer. Monsieur Bazin zupfte Unkraut.
Es war schönes Wetter. Sonnig und weniger Wind als in der letzten Zeit. Francesco setzte sich mit seiner Kaffeetasse auf die Bank und wartete. Da der andere in seiner Tätigkeit fortfuhr, ohne ihn zu beachten, sagte er: »Guten Tag. Schönes Wetter haben wir.«
Monsieur Bazin hob den Kopf. »Das ist wahr. Allerdings nur von einem gewissen Standpunkt aus. Für die Pflanzen ist es zu trocken. Eine Pflanze würde es schlechtes Wetter nennen.« Sein Nachbar bückte sich wieder und jätete weiter mit den Händen.
Francesco spürte die Sonne im Gesicht. Es war ihm beinahe friedlich zumute, wäre da nicht dieser Druck gewesen, der nun schon seit Tagen wieder zunahm.
»Was ist mit unserem Ausflug?« fragte er, nachdem er einige Zeit hatte verstreichen lassen, denn er fand es unpassend, Monsieur Bazin zu drängen.
»Ich habe ihn nicht vergessen. Ich wollte Sie nur in Ruhe Ihren Kaffee trinken lassen. Ich werde jetzt meinen Wagen holen und Sie bitten, sich in der Zwischenzeit eine warme Jacke zu besorgen. Wir werden rückwärts fahren durch die Jahreszeiten, oder vorwärts, wie Sie wollen. Es hängt von Ihrem Standpunkt ab. Jedenfalls werden wir bis zum Winter gelangen. Zum letzten oder zum nächsten.« Monsieur Bazin verschwand.
»Er hat eine wirklich verblüffende Art, sich in Luft aufzulösen, wenn es die Regeln der Rhetorik verlangen«, dachte Francesco.
Ihn hatten die letzten Worte Bazins getroffen. Im vergangenen Winter war er mit Laura glücklich gewesen. Im nächsten würde es für ihre Liebe vielleicht nur noch eine Form geben: die Erinnerung.
Wenig später wurde er in Monsieur Bazins verrostetem und verbeultem Auto durch die Gegend geschaukelt. Es ging auf engen, kurvenreichen Straßen durch eine karge Berglandschaft. Hier wuchs nur noch stacheliges Unkraut, das niemand je auszupfen würde. Man sah dem Boden an, wie ausgelaugt er von jahrhundertelangem Wechsel von kurzen Regengüssen und anhaltender Sommerhitze war.
Sein Nebenmann rauchte und schnippte die Asche in den übervollen Aschenbecher. Sie fuhren nach Norden. Wenn Francesco auf der Außenseite der schmalen, unbefestigten Straße saß, sah er oft den Boden nicht mehr. Normalerweise hätte er Angst gehabt, aber nicht jetzt. Die ganze Fahrt kam ihm wie eine mit dem Schicksal abgeklärte Angelegenheit vor. Sollte dabei der Tod vorgesehen sein, hatte es keinen Zweck, sich zu sträuben.
Seltsam: Plötzlich kam ihm Bazin wie der einzige Mensch auf der Welt vor. Und er war sein Freund. Er spürte das Bedürfnis, seine Hand auf Bazins Oberschenkel zu legen, so wie er es noch vor Monaten bei Laura getan hatte, als sie über die Autobahn gefahren waren.
War die Liebe denn nichts anderes als die Rückseite der Erfahrung, einsam zu sein? Eine grenzenlose Einsamkeit, die sich als Zärtlichkeitsbedürfnis äußerte. Als Sehnsucht zweier Menschen zueinander. Beider Sehnsüchte hoben sich dabei auf zu dieser unbeschwerten Trauer, die er im Augenblick in sich fühlte.
Bazin drückte seine Zigarette aus. Francesco sah, daß die Finger seines Freundes zitterten. Er sah auch, daß es eine schöne Hand war, wie geschaffen für Zärtlichkeit.
»Die Liebe ist der schrecklichste Wahn, der einen Menschen befallen kann«, sagte Bazin unvermittelt. »Da jeder Liebende glaubt, daß Körper und Geist bei ihm eine Einheit bilden, befällt er beides, sowohl seinen Körper wie seinen Geist. Und genau dadurch entsteht sie überhaupt erst, diese ominöse Einheit. Sie ist nicht Ursache, sondern Folge des Liebeswahns, lieber Francesco. Sie sind ein gutes Beispiel.«
Er drehte ihm das Gesicht zu und lächelte ihn an. Dabei kamen sie dem Abgrund bedenklich nahe, so daß
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