Lautlos
Gleichzeitig gab es ein reißendes, nicht allzu lautes Geräusch, als der Kopf des Penners in einer Wolke aus Blut, Hirn und Knochensplittern auseinander flog. Der Körper schien eine Sekunde lang weitergehen zu wollen, als sei nichts geschehen. Die Arme bewegten sich im Rhythmus des gemächlichen Schlenderns, dann erhielt der Torso Übergewicht, kippte zur Seite weg und schlug zu Boden. Die Finger der rechten Hand zuckten, als suchten sie nach einem Halt.
»Bemerkenswert«, sagte Mirko von dem Kasten her.
Jana trat zu dem Leichnam und ging in die Hocke. Sie betrachtete aufmerksam die klaffende Wunde. Rechts waren Kopf und Hals bis zur Schulter weggerissen, an der anderen Seite hingen noch ein Stück vom Kiefer und ein Ohr. Eine Blutlache breitete sich zwischen den Schulterblättern aus.
»In etwa das, was ich erwartet hatte«, sagte sie.
»Sie sind sicher, dass der Impuls auf größere Entfernung nicht an Kraft verliert?«
»Todsicher. Wir sind drei Kilometer vom Ziel entfernt. Ich hatte fünf bis sechs einkalkuliert. Der Test ist befriedigend verlaufen. Das Resultat im Juni wird das gleiche sein.«
Mirko nickte.
»Ich muss Ihnen meine Bewunderung aussprechen«, sagte er. »Ganz ehrlich, Jana. Ich bewundere Sie.«
Jana zuckte die Achseln. Sie ging hinüber zu dem Tisch und legte die Kamera dort ab. Dann drehte sie sich zu Mirko um und sah ihn an. Ihr Gesicht war bar jeden Ausdrucks.
»Danke. Bewundern Sie mich in vier Monaten.«
Mirko lächelte.
»Natürlich.« Sein Blick wanderte zu der Leiche. »Dann wollen wir mal sauber machen.«
PHASE 2
O'CONNOR
Etwas sagte ihm, dass es exakt sieben Uhr einundfünfzig war, aber er sah sich außerstande, den Beweis dafür anzutreten.
Genauer gesagt sah er nicht das Geringste. Jemand ruhte in seinen Armen, auch so viel wusste er, nur dass seine Augen sich nicht öffnen wollten. Den Jemand zu betasten, zu erblicken und sich seiner zu versichern, hätte die Kontrolle über seinen Körper erforderlich gemacht. Doch O'Connor hätte selbst mit äußerster Willensanstrengung nicht den kleinen Finger rühren können. Er lag in vollkommener Erstarrung da, unfähig, auch nur mit der Wimper zu zucken, geschweige denn die Augen zu öffnen und Herr seiner motorischen Fähigkeiten zu werden.
Früher hatte es ihm panische Angst bereitet, zu erwachen und festzustellen, dass sein Bewusstsein einen toten Baum bewohnte. Geschichten von Edgar Allen Poe über das lebendig Begrabenwerden waren ihm in den Sinn gekommen, über Scheintote und Menschen, die so vollständig gelähmt und in ihrem Körper gefangen waren, dass die Verliese des Grafen von Monte Christo die reinsten Gesellschaftsräume dagegen waren. Niemand hatte ihm zu erklären vermocht, woher diese zeitweilige Erstarrung rührte, viel schlimmer, niemand glaubte ihm. Seine Arzte versuchten ihm wiederholt einzureden, er bilde sich den Wachzustand lediglich ein und liege stattdessen in einem handfesten Alptraum da. Sie verwiesen auf die wenig gesundheitsfördernde Wirkung übermäßigen Alkoholgenusses und besaßen allesamt kluge Halbbrillen zu dem Zweck, ihn über den Rand hinweg strafend anzusehen. Niemand konnte sich offenbar vorstellen, wie es war, zu erwachen und zur Bewegungslosigkeit verdammt zu sein, nicht einmal stöhnen und wimmern zu können.
Anfangs war es O'Connor gelungen, sich aus seinem Gefängnis zu befreien, indem er sich in enorme innere Spannung versetzte und versuchte, wenigstens einen Fuß oder eine Hand zu drehen, nur ein winziges bisschen. War der Bann einmal gebrochen, konnte es geschehen, dass die Ketten der Lähmung plötzlich und unvermittelt von ihm absprangen und er hochfuhr, seine Finger ins Kissen grub und den nächstbesten Fleck anstarrte, heftig atmend und überglücklich, sich wieder in der Gewalt zu haben. Seit einiger Zeit jedoch gelang ihm auch dies immer seltener, also hatte er eine neue Methode entwickelt, mit dem katatonischen Schrecken fertig zu werden. Das Hirn war ein Computer, ergo probierte er einen Neustart. Wenn sein Körper streikte, musste er eben wieder einschlafen und sich der Zwischenwelt stellen, die ihn noch nicht fortlassen mochte. Sobald er aufhörte, gegen die Starre anzukämpfen, beruhigte er sich augenblicklich und empfand nur noch ein vages Misstrauen gegen den Tod, den er der Generalprobe verdächtigte, und die Befürchtung, dem erneuten Aufkommen des Schlafes einmal zu oft nachzugeben und den Planeten zu verlassen, ohne genug Spaß gehabt zu haben. Allerdings war
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