Leben im Käfig (German Edition)
klopfendem Herzen richtete er sich auf. War sie hier gewesen oder hatten seine Träume ihm einen Streich gespielt? Oder war er gar Zeuge eines übernatürlichen Ereignisses gewesen? War seine Mutter gekommen, um sich von ihm zu verabschieden? War ihr etwas zugestoßen?
Wütend kniff Andreas sich in die Schulter. Was für ein Unsinn. Wie alt war er? Fünf? Er glaubte an nichts, was er nicht sehen, anfassen oder riechen konnte. Geister gab es nicht. Und schon gar nicht solche, die publikumswirksam ihre Angehörigen vom eigenen Ableben unterrichteten.
Und apropos Riechen. Angewidert schnupperte Andreas und ekelte sich vor der Wolke aus blumigem Parfüm und Champagner, die über seinem Bett schwebte. So viel zu der Frage, ob er geträumt oder wirklich Besuch bekommen hatte.
Geister stanken nicht, als hätten sie sich ein Vollbad in Sekt gegönnt.
Er wollte erleichtert sein, als er zurück in seine Kissen sank. Aber er brachte es nicht über sich. Der Knoten in seinem Magen blieb bestehen und drückte auf seine Eingeweide. Zu anstrengend waren die letzten Tage gewesen.
Er machte sich Sorgen, er hatte Angst und da war noch etwas anderes. Etwas Größeres, etwas Mächtigeres.
Ja, Andreas war wütend, dass seine Mutter ihm diese Qualen zugemutet hatte. Dass sie es zugelassen hatte, dass er sich Sorgen um sie machen musste. Dass sie gehandelt hatte, ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen. Von seinem Vater ganz zu schweigen.
Doch kaum, dass er diese Gedanken in sich hochsteigen ließ, schämte er sich. Wer war er schon, seiner Mutter Vorwürfe zu machen?
Kapitel 45
„Selten so gekotzt“, brummte Sascha sein von dunklen Bartstoppeln auf bleicher Haut geschmücktes Spiegelbild an.
Er sah wie eine Leiche aus. Schlimmer, als das bisschen Alkohol vom Vorabend rechtfertigte. Vielleicht war das Fleisch vom Grill verdorben gewesen. Oder vielleicht war es keine gute Idee gewesen, Bier, Glühwein, ekelhaft süßen Likör und Wodka durcheinanderzutrinken. Vom Kiffen ganz zu schweigen. Nur nicht daran denken.
„Bah“, murrte er und befingerte eine Schwellung an seiner Nase, die sich anfühlte, als mache sie Anstalten, sich in naher Zukunft in einen fiesen Eiterpickel zu verwandeln.
Hinter seiner Stirn hämmerte es.
Das winterliche Mittagslicht, das ins Badezimmer fiel und auf fünf bunte Zahnbürsten traf, war zu grell für seine verquollenen Augen. Lustlos putzte Sascha sich die Zähne und ärgerte sich über seine Unfähigkeit, sich seine Zeit vernünftig einzuteilen.
Gut, für das Desaster am Freitag konnte er nichts. Auch nicht dafür, dass sein Besuch bei seinem Freund anders verlaufen war als geplant.
Der Samstag hingegen ... Hatte er wirklich mit Isa an der Alster herumlaufen müssen, bis es an der Zeit war, sich auf den Weg zu Erbses Party zu machen?
Es wäre besser gewesen, zwischendurch noch einmal nach Hause zu kommen und für drei oder vier Stunden etwas zu tun.
Jetzt war Sonntag Mittag, fast zwei Uhr, und Sascha hatte noch keinen Finger für das nahende Abitur krumm gemacht. Stattdessen hatte er bestialische Kopfschmerzen und wollte in faulem Nichtstun seinen Kater auskurieren, wusste jedoch, dass er es sich nicht leisten konnte, den restlichen Sonntag zu vergeuden.
Großartig. Und wann blieb ihm Zeit für Andreas? Gar nicht.
Apropos Andreas. Vage erinnerte Sascha sich daran, dass das Telefonat in der vergangenen Nacht abrupt geendet hatte. Sie waren überrascht worden. Von Richard von Winterfeld. Doch der hatte relativ gelassen reagiert. Oder? Nein, nicht gelassen. Merkwürdig.
Blinzelnd bearbeitete Sascha seine Schneidezähne und konzentrierte seine Aufmerksamkeit halb darauf, den vergorenen Melonen-Geschmack in seinem Mund loszuwerden und halb darauf, sich zu erinnern.
Chaotischer Abend, aber großartig. Abgesehen von der Sache mit Miriam vielleicht. Das war ihm unangenehm gewesen.
Und dann? Sie hatten telefoniert und er hatte mit dem Gedanken gespielt, von außen an der Winterfeld-Villa hochzukraxeln, um bei Andreas schlafen zu können. Gut, dass er es nicht versucht hatte.
Erstens hätte er sich vermutlich die Knochen gebrochen und zweitens war es schlimm genug, dass er sich am frühen Morgen neben das eigene Bett übergeben hatte.
Wie hieß es so schön?
„Auf dem eigenen Klo kotzt es sich am besten.“
Dumm nur, dass er es nicht bis ins Badezimmer geschafft hatte und somit morgens um sieben Uhr damit beschäftigt gewesen war, seine eigene Schweinerei zu entfernen.
Und morgen war
Weitere Kostenlose Bücher