Leben im Käfig (German Edition)
fragen konnte, und sein neuer Kumpel fiel gleich mit der Tür ins Haus und stellte die vielleicht Persönlichste aller Fragen. So viel zum Thema Empathie.
Aber warum lügen? „Nein, haben sie nicht. Aber es hat ständig geknallt. Es war Tanjas Idee, dass ich nach der letzten Sache hierher komme. Meine Eltern haben getan, als hätte ich die Kronjuwelen geklaut.“
“Was hast du denn angestellt?“
Sascha zögerte. In seinem Kopf rasten die Gedanken. Es war kein Problem für ihn zu erzählen, bei was sein Vater ihn erwischt hatte. Nur hielt er es nicht für gut, Andreas sofort auf die Nase zu binden, dass er schwul war. Bisher kannte er ihn kaum und konnte ihn nicht richtig einschätzen. Er wollte die erste Hamburger Bekanntschaft nicht gleich verlieren, indem er sich outete. Zwar war nicht gesagt, dass Andreas sich an seiner Homosexualität reiben würde, doch das Risiko war ihm zu groß.
Es gab immer wieder Männer, denen es Angst machte, mit Schwulen konfrontiert zu werden. Fast so, als fürchteten sie, dass man gegen ihren Willen über sie herfallen könnte. Am Ende dachte Andreas noch, Sascha wolle ihn anbaggern. Nein, das würde die Sache nur unnötig kompliziert machen.
Schließlich tippte er schnell: „Nichts. Oder nicht wirklich. Mein Dad war nur nicht begeistert, als er mich erwischt hat, wie ich auf seiner heiligen Fernseh-Couch mit einem Mädel aus meinem Jahrgang herumgemacht habe. War nur der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“
Kaum hatte er die Nachricht abgeschickt, fühlte er sich schlecht. Wer log schon gerne jemanden an? Vor allen Dingen, wenn man sich selbst dabei verleugnete? Am liebsten hätte er alles zurückgenommen.
Während er darüber nachdachte, ob es einen eleganten Weg aus dieser Sache herausgab, fiel ihm gar nicht auf, wie lange es dauerte, bis Andreas antwortete.
Er bemerkte es erst, als der andere schrieb: „Es ist spät. Ich gehe ins Bett. Wir sehen uns.“
Eine Sekunde später war Andreas offline. Verdutzt blieb Sascha zurück, fragte sich, was passiert war. War überhaupt etwas passiert? Der abrupte Abgang war schon seltsam. Nachdenklich trommelte er mit den Fingern auf der Tischplatte, konnte sich aber nicht vorstellen, wie der plötzliche Abschied zustande gekommen war. Obwohl ... Andreas war krank. Vielleicht ging es ihm nicht gut. Vielleicht hatte er zu viel Zeit vor dem Rechner verbracht. Ja, das würde es sein. Armer Kerl.
Ein Haus weiter warf Andreas sich kopfüber in sein Bett und schlug frustriert auf sein Kissen ein. So viel zum Thema zerstörte Hoffnungen. Er war ein Idiot. Hatte er wirklich gedacht, ausgerechnet jemand wie Sascha wäre schwul? Der erste Typ in seinem Alter, der ihm seit Jahren über den Weg lief? Das war eine statistische Unmöglichkeit. Weh tat es trotzdem. Dabei hatte er gar nicht daran geglaubt; nur auf eine kindliche Weise gehofft, gewünscht, geträumt. Jetzt waren diese Vorstellungen vom Anblick Saschas überschattet, der sich mit einer dürren Blondine auf der Couch rekelte.
Das Leben war zum Kotzen.
* * *
Die erste Erkenntnis war, dass er sich erbärmlich fühlte; die Zweite, dass es spät sein musste, denn die Sonne knallte ungeschützt von der Südseite in sein Zimmer und heizte sein Bett auf. S
eine Zunge klebte am Gaumen, in seinen Schläfen pochte es und er war von oben bis unten verschwitzt und verkrampft. Schlecht geschlafen, noch schlechter geträumt. Es war einer dieser Tage, die man vorne herein aus dem Kalender streichen konnte. Übermüdet und auf eine seltsame Weise wund rollte Andreas sich auf einen kühlen Fleck auf der Matratze und streckte alle viere von sich.
Aufstehen? Duschen? Essen? Keine Optionen. Dabei knurrte sein Magen und verlangte nach Aufmerksamkeit. Es fühlte sich komisch an, auf der einen Seite vom Bauch aus Hunger zu haben und auf der anderen Seite nicht einmal in die Nähe von Nahrung kommen zu wollen.
Wie hatte er es geschafft, sich innerhalb von ein paar Tagen in eine hoffnungslose Sache zu verrennen? Er war doch nicht dumm. Was hatte er erwartet? Dass Sascha nicht nur schwul war, sondern sich am besten auch auf den ersten Blick in ihn verliebte? Statistisch gesehen war dieses Szenario so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto.
Trotzdem war durch diese Vorstellung ein unscheinbares Samenkorn in seiner Brust bewässert worden. Selbst jemand wie Andreas hatte Träume und Sehnsüchte. Nur weil er mit der Welt dort draußen Probleme hatte, bedeutete das
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