Leben im Käfig (German Edition)
du hoffst, dass er zur Abwechslung wenigstens kurz unter Leute kommt ...“, nickte sie langsam. Sie konnte sich vorstellen, dass Andreas vor Schreck in Ohnmacht fallen würde, wenn sie ihm von ihren Plänen berichteten. Er musste wieder einmal unter Menschen kommen. Das sah sie ein. Der ständige Mangel an Ansprechpartnern musste ihn ja depressiv machen. „Wir werden ihn nicht zwingen, verstanden? Da mache ich nicht mit.“
„Haben wir ihn je zu irgendetwas gezwungen?“, lächelte Richard schief. „Natürlich nicht.“
Als er die Hand nach der Lampe ausstreckte und das Zimmer in Dunkelheit hüllte, wurde Margarete das dumme Gefühl nicht los, dass hinter diesem Plan mehr steckte, als ihr Mann zum jetzigen Zeitpunkt zugab. In der Vergangenheit hatte es einige Pläne gegeben, um Andreas zu helfen. Die meisten waren skurril gewesen und ihre Bemühungen meistens nach kurzer Zeit wieder im Sande verlaufen.
Sie schämte sich und wusste, dass es Richard unter seiner harten Schale nicht anders ging.
Kapitel 8
„Strike!“
Sascha riss beide Arme in die Luft und drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl jubelnd um sich selbst. Erst dann erinnerte er sich daran, dass sie sich dem Morgen näherten und alle anderen Menschen im Haus schliefen.
Seit Stunden zogen Andreas und er gemeinsam durch die virtuelle Welt und hinterließen eine Spur der Zerstörung. Sie hatten bisher nur ein Spiel verloren und das auch nur, weil Saschas Internetleitung zwischendurch zusammengebrochen war. In Windeseile hatten sie einen gemeinsamen Rhythmus gefunden. Mit jedem Spiel erarbeiteten sie sich einen höheren Rang. Zwar waren sie noch weit von den professionellen Zockern entfernt, aber schlugen sich tapfer zwischen den anderen Gelegenheitsspielern.
Es machte unglaublich viel Spaß. Mit Cola und Salzstangen bewaffnet war es auch ein Leichtes, bis in die frühen Morgenstunden wach zu bleiben. Es war Sascha nicht bewusst, aber zum ersten Mal, seitdem er in Hamburg angekommen war, fühlte er sich mit sich und der Welt im Einklang. Gegen Langeweile war er hochgradig allergisch und Andreas hatte ihm diese Last von den Schultern genommen.
“Klasse Manöver. Ich dachte schon, sie hätten mich erwischt. Denen hast du ordentlich in den Hintern getreten.“
„Immer doch“, chattete Sascha mit einem zufriedenen Grinsen im Gesicht zurück. „War vorher ja oft genug anders herum.“
“Du hast nicht übertrieben. Du bist wirklich sehr gut. Wo kommst du eigentlich her, dass du früher so viel Langeweile hattest? Timbuktu?“
„Nein, aber fast. Nordhessen. Da ist ziemlich der Hund gegraben“, antwortete Sascha und streckte sich ausgiebig. „Bin auch nicht böse darum, dass ich da weg bin.“
Auf das Thema angesprochen fragte er sich wieder im Stillen, wie es kam, dass Andreas so viel Zeit vor dem Rechner und daheim verbrachte. Er wagte nicht zu fragen. Noch nicht.
Trotz der gemeinsam verbrachten Zeit in dieser Nacht waren sie Fremde. Er selbst würde an Andreas' Stelle keine persönlichen Fragen beantworten; gerade nicht, wenn er krank war. Sicher redete er nicht gerne darüber.
Die Neugier ließ Sascha jedoch keine Ruhe. Er überlegte gerade, wie er unverfänglich mehr erfahren konnte, als Andreas schon schrieb: “Ja, du hattest so etwas gesagt. Stress mit den Alten.“
Vielleicht war das der richtige Weg, überlegte Sascha sich. Erst einmal ein bisschen von sich selbst preisgeben. Zeigen, dass er auch seine Schwierigkeiten hatte. Und so unangenehm es ihm auch war, über die schmerzlichen Erfahrungen der letzten Zeit zu reden, so war es ohne Augenkontakt doch möglich. Er würde nicht sehen, ob Andreas das Gesicht verzog oder ihn belächelte. Er würde sich nicht vor ihm erniedrigen.
„Ja, genau. Das hast du dir gemerkt?“
Schnelle Antwort: “Sicher. Ist ja auch ganz schön blöd sowas.“
Das fand Sascha merkwürdig. Die meisten Jugendlichen in seinem Jahrgang hatten ihn eher beneidet als ihn zu bedauern. Vielleicht war er daran selbst schuld. Er hatte keinen Hehl daraus gemacht, wie sehr er sich auf Hamburg freute. Ein bisschen Schauspielerei war natürlich auch dabei gewesen. Eine trübselige Abschiedsszene konnte er nicht brauchen. Mitleid erst recht nicht.
„Geht so. Hamburg ist toll, aber im letzten Jahr vor dem Abi die Schule wechseln ist Mist.“
„Das ist wohl wahr. Sag mal, haben sie dich rausgeschmissen?“
Um ein Haar hätte Sascha gelacht. Da machte er sich Gedanken, ob er Andreas nach seiner Krankheit
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