Lehrerzimmer
Besprechung stattgefunden habe, welche Tatsache einen Verstoß gegen
die
Verwaltungsvorschrift
AIV über den Einsatz von
Entscheidungsmaßnahmen innerhalb eines abtrünnigen Lehrerkollegiums darstelle. Infolge dieser betrüblichen Vorfälle stehe nun eine gründliche Untersuchung an, die, angeordnet von ganz oben, unverzüglich durchzuführen sei.
Niemand verlässt den Raum, sagte der Wortführer. Punkt eins, fuhr er nach einer Weile fort, die Identifizierung des Maulwurfs. Dabei hielt er einen Brief in seinen weiß
behandschuhten Händen. Dieser Brief, sagte der Wortführer, sei abgeschickt worden, anonym, an Frau Direktorin Doktor Margarete Wirtz, Leiterin des renommierten KNOGY. In diesem Schriftstück seien unklassifizierte Informationen über interne Angelegenheiten des ERG enthalten. Folglich könne es sich bei dem Schreiber dieses Briefobjektes nur um ein Mitglied des ERG-Kollegiums handeln. Man sei aber ohne weiteres in der Lage, den Täter zu ermitteln, da sich auf dem Umschlag und dem beschriebenen Papier des Beweisstückes nicht nur die Fingerabdrücke von Frau Direktorin Doktor Margarete Wirtz, sondern auch die einer zweiten Person gefunden hätten. Diese zweite Person sei nun zu identifizieren.
Einige der Weißen begannen, die Fingerabdrücke der Lehrer abzunehmen, während andere Weiße in der Lehrerbibliothek eine Art Laboratorium aufbauten und die ihnen gebrachten Abdrücke in Apparate spannten und mit den Abdrücken des Maulwurfs auf dem Briefumschlag verglichen. Nach einiger Zeit öffnete sich die Tür ein weiteres Mal, und zwei Weiße führten Höllinger und Bassel ins Lehrerzimmer. Der
Wortführer wandte sich nun direkt an Höllinger. Punkt zwei, sagte er, sei der vom geltenden System nicht zu duldende Autoritätsverlust des an der Spitze stehenden Direktors durch eine ans Kollegium gerichtete Bitte, mit welcher Höllinger seinen ihm zustehenden Platz vorschriftenverachtenderweise verlassen und sich für einen kurzen Augenblick auf das Niveau der ihm unterstellten Lehrer begeben habe. Erschwerend hinzu käme ein ungenehmigtes, irreguläres und in keiner
Dienstvorschrift weder erwähntes noch vorgesehenes
Losverfahren, ein Tatbestand, der indirekt auch einer
Irreführung des gesamten Oberschulamtsapparates
gleichkomme sowie einer Inkaufnahme von möglichen
Fehlentscheidungen seitens der internen obersten
Entscheidungsträger. Höllinger sah den Weißen geschlagen an.
Das Urteil, fuhr der Weiße fort, sei ein Abzug von drei Leistungsstufen. Seinen Posten als Direktor am ERG werde Höllinger aber weiterhin bekleiden können, da es sich bei dem vorliegenden Verschulden um eine Ersttat handle und man aus der Personalakte eine bis dato tadellose Führung des Direktors entnehmen könne. Nein, rief plötzlich Kniemann, nein, rief sie laut und eifrig, das könne sie nicht dulden, das sei unerhört, das sei ein Abgesang auf die humanistische Bildung, man könne nicht einfach bis daaato sagen, mit langem a, das sei nicht korrekt, das lasse sie nicht durchgehen, dare sei das einzige Verb der a-Konjugation, das ein kurzes a im Stamm habe, demnach dürfe man nicht etwa dahto – also quasi mit gedachtem eingeschobenem h – sagen, sondern es heiße
vielmehr datto, gleichsam mit Doppel-T, dare, do, dedi, dattum, sagte Kniemann, da müsse man schon drauf achten.
Höllinger zuckte zusammen und fauchte Kniemann lautlos, aber gestenreich an, wandte sich dann wieder an den Weißen, der durch den unerwarteten Einwurf etwas verwirrt zu sein schien, und Höllinger flüsterte mehrmals, ich danke Ihnen, ehe er sich bemühte, wieder Haltung anzunehmen. Dann öffnete sich die Bibliothekstür, ein Weißer trat aus der Bibliothek und brachte seinem Chef einen Zettel. Der Maulwurf, sagte der Wortführer, nachdem er den Zettel überflogen hatte, sei soeben ermittelt worden. Er blickte undurchsichtig ins Kollegium.
Sein Name sei Jensen, Vorname Josef. Die Fingerabdrücke seien identisch, es bestehe nicht der geringste Zweifel. Ein Bleiben am ERG sei ausgeschlossen, Urteil: Zurückstufung auf Assessorengehalt, Versetzung nach Schwäbisch-Sibirien.
Jensen griff mechanisch in seine Hosentasche, knüpfte den Schulschlüssel vom Schlüsselbund und legte ihn auf den Tisch.
Zwei Weiße sammelten Jensens sämtliche Schulunterlagen ein, während zwei weitere Josef rechts und links am Arm fassten und ihn aus dem Lehrerzimmer führten. Das war das Letzte, was ich von Josef Jensen sah.
19
Der Auftrag sei noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher