Lehtolainen, Leena
Rucksack und meine Lederhandschuhe im Flur entdecken. Die verriegelte Badezimmertür würde ihm nicht lange standhalten.
Der Briefschlitz klapperte, es raschelte, irgendetwas aus Papier fiel auf den Boden. Die Schritte entfernten sich, an der nächsten Wohnungstür klapperte der Briefschlitz. Ich kam mir blöd vor. Ich hatte keinen Grund, mich zu fürchten, selbst wenn Ari nach Hause kam, schließlich war ich auf Sirpas Wunsch in der Wohnung.
Trotzdem wurde ich den Gedanken an blaue Flecken und gebrochene Rippen nicht mehr los. Sirpa hatte mich gebeten, die Salbe gegen Tonis Ekzem mitzubringen. Das Medizinschränkchen war im Badezimmer. Unter dem Waschbecken stand ein Abfalleimer, voller blonder Locken. Sirpas Haare.
Mein erster Gedanke war, sie einzusammeln. Ich zog eine dreißig Zentimeter lange Strähne aus dem Eimer, sie war weich und glänzend und duftete nach Apfelshampoo. Auf dem Hochzeitsbild im Wohnzimmer lächelte Sirpa glücklich. Damals hatte sie nicht ahnen können, dass ihr Prinz in Wahrheit ein Monster war, das seine schöne Braut innerhalb von zehn Jahren zu einem willenlosen Wesen prügeln würde. An der nächsten Locke klebte Blut. Ich ekelte mich.
Sirpa hatte die Zahnbürsten mitgenommen, aber die Kinder-zahncreme vergessen. Die Tube lag auf der Ablage unter dem Spiegel, neben Aris Rasierer. Das Kabel vom Rasierapparat steckte in der Steckdose, es war leicht abgerieben. Auf einem Schildchen neben der Steckdose stand: «Elektrogeräte nicht in nassem Zustand berühren!»
Ich zögerte nur einen Moment. Dann holte ich meine Lederhandschuhe aus dem Flur und streifte sie über. Vorsichtig zog ich den Stecker heraus. Im Rucksack hatte ich ein Pilzmesser. Ich wischte die Klinge an einem Stück Klopapier ab, das ich anschließend in der Toilette herunterspülte. Dann schabte ich etwas mehr von der Isolationsschicht ab, achtete aber darauf, dass die beschädigte Stelle nicht auffiel, wenn man nicht ganz genau hinsah. Ich steckte den Stecker wieder ein und arrangierte das Spiralkabel so, dass die abgeschabte Stelle verdeckt war. Dann zog ich die Handschuhe aus, packte die Sachen ein, die ich holen sollte, und verließ die Wohnung.
Wenn alles gut ging, bekam Sirpa ein viel besseres Namens-tagsgeschenk von mir als nur einen Friseurbesuch. Ari Väätäinens Schicksal lag nun in seinen eigenen Händen. Vielleicht bemerkte er die abgeschabte Stelle. Vielleicht war er vorsichtig und ließ den Wasserhahn zu, während er sich rasierte. Wenn nicht, brauchte Sirpa nie mehr Angst zu haben.
Die Sonne schien fast sommerlich warm, und als ich zurück-fuhr, flog ein Zitronenfalter vor mir her. Ich hörte mich einen Schlager pfeifen.
Drei
Drei
Arja, die Friseurin, hatte Sirpas Haare in Ordnung gebracht. Die Nackenhaare hatte sie auf einen halben Zentimeter kürzen müssen, aber an den Schläfen war so viel stehen geblieben, dass Sirpa nicht wie ein KZ-Häftling aussah, und die längeren Strähnen hatte Arja über die kahlen Stellen gekämmt. Die Frisur war asymmetrisch, man konnte glauben, das wäre die neueste Mode aus London.
«Wenn dich jemand fragt, sag einfach, dass du Friseurmodell gewesen bist», meinte Arja. Dann wandte sie sich an mich: «Hör mal, Säde, deine Haare sehen auch ziemlich schlimm aus. Sind dünner geworden, seit ich dich zuletzt gesehen habe. Außerdem haben sie überhaupt keinen Glanz. Höchste Zeit für eine Tö-
nung und eine leichte Dauerwelle, findest du nicht?»
Ich lehnte ab, obwohl ich wusste, wie entsetzlich meine Haare aussahen. Stattdessen flocht Arja der kleinen Marjo, die aus der Schule zurückgekommen war, ganz umsonst eine wunderschöne Zopffrisur. Inzwischen sprach ich noch einmal mit Sirpa.
Ich erklärte ihr, dass sie nicht an Familiengesprächen mit Ari teilzunehmen brauchte, auch wenn Ari darauf drängte und Pauli sie zu überreden versuchte.
«Natürlich liegt die Entscheidung bei dir», sagte ich zum Schluss, wie es Vorschrift war. Die Familiengespräche gehörten zu den wichtigsten Therapieformen im Schutzhafen. Es wurde über die Situation gesprochen, die die Gewalttätigkeit ausgelöst hatte, und überlegt, wie solche Dinge in Zukunft zu vermeiden wären. Dabei ging es nicht um Schuldzuweisung, sondern um Verständnis. Dem Mann wurde nicht automatisch die Schuld zugeschrieben, vielmehr sah man in der Gewalt ein Problem der ganzen Familie, über das gemeinsam gesprochen werden musste. Bei den Gesprächen sollten immer zwei Mitarbeiter des Frauenhauses anwesend
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