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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeit zu sterben
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sein, Pauli und eine Kollegin, damit weder der Mann noch die Frau sich in der Minderheit fühlten.
    Die Gespräche mit den Väätäinens verliefen immer nach dem gleichen Muster. Ari erklärte als Erstes, wie Leid es ihm täte und wie sehr er Sirpa liebte und welche Angst er hätte, sie zu verlieren. Als Grund für die Misshandlungen führte er seine Eifersucht an: Sirpa sei so schön, und er ertrage es nicht, wenn andere Männer seine Frau begehrten. Sein stockender Monolog dauerte lange, Pauli unterbrach ihn selten. Dann war Sirpa an der Reihe. Sie versicherte, andere Männer nicht einmal anzusehen und sich nicht vorstellen zu können, Ari zu betrügen.
    Danach ging es um die Situationen, die Aris Eifersuchtsanfälle auslösten. Ein Nachbar hatte Sirpa angelächelt, oder der junge Verkäufer an der Fleischtheke im Supermarkt hatte ihre Hand gestreift, als er ihr das Paket mit Hähnchenkeulen reichte. Das war ein hinreichender Grund für ein blaues Auge oder eine gebrochene Rippe. Anders als die meisten unserer männlichen Klienten verprügelte Ari seine Frau nicht im Rausch. Er war auch ohne Alkohol gefährlich.
    Zu Familiengesprächen war er bereit, zu einer Therapie nicht, schließlich sei er nicht verrückt. Er liebe seine Frau eben mehr, als Durchschnittsmänner es täten. Eine solche Liebe sei sehr qualvoll. Ob wir überhaupt fähig wären, eine solche Liebe zu verstehen? Seinem Gesichtsausdruck nach war er überzeugt, dass zumindest ich zu solchen Gefühlen nicht fähig war. Außerdem käme niemand auf die Idee, mich derart leidenschaftlich zu lieben. Ich wusste, er hatte Recht.
    Falls Sirpa zum Familiengespräch ging, würde ich Ari diesmal kein Verständnis mehr entgegenbringen. Ich nahm mir vor, ihm geradeheraus zu sagen, wofür ich ihn hielt: für einen kranken Idioten, der Besitzanspruch mit Liebe verwechselte.

    Sirpa hatte nicht viel über ihre Kindheit gesprochen, aber ich hatte aus ihr herausbekommen, dass sie das Kind eines gewalttätigen Vaters war, wie Ari auch. Die Ehe, die sie mit knapp zwanzig geschlossen hatten, war für beide eine Flucht aus dem streiterfüllten Elternhaus gewesen. Sirpa hatte sich bei Ari in Sicherheit gefühlt, weil er nicht trank wie ihr Vater. Als Ari trotzdem gewalttätig wurde, glaubte Sirpa, das sei ein normaler Teil des Ehelebens. Sie kannte es nicht anders.
    Als ich nach Hause gehen wollte, fing Pauli mich auf der Treppe ab.
    «Säde, war das deine Idee, dass Sirpa heute nicht mit Ari zu-sammentrifft?»
    «Nein», antwortete ich und wollte mich an ihm vorbeidrängen.
    «Sirpa hat sich bisher nie geweigert, am Gespräch teilzunehmen. Hast du vergessen, dass wir im Schutzhafen nach dem Prinzip handeln, die Entscheidungen der Klienten zu respektieren, anstatt feministische Manipulation zu betreiben?»
    Ich stieg eine Stufe höher, damit ich Pauli von oben herab ansehen konnte. «Offenbar hat niemand daran gedacht, Sirpa zu sagen, dass die Teilnahme an den Familiengesprächen freiwillig ist. Ich habe ihre Entscheidung respektiert. Zu Hause wartet eine hungrige Katze auf mich, ich muss gehen. Bis morgen!»
    Ich fuhr so schnell ich konnte nach Hause. Als ich ankam, hämmerte mein Herz, und Übelkeit machte sich bemerkbar. Auf dem Weg von den Väätäinens zum Frauenhaus hatte ich am Kiosk ein großes Eis gekauft, aber als Mittagessen hatte das offenbar nicht ausgereicht. Ich schaffte es gerade noch, Schuhe, Jacke und Fahrradhelm auszuziehen, dann fiel ich aufs Bett und döste ein.
    Das Telefon weckte mich. Meine Mutter fing sofort an, mit schriller Stimme ihre Sorgen abzuladen, ich brauchte nur zuzuhören.
    «Hat Tarmo dich angerufen, der braucht Rat. Tarja is einfach unmöglich, die will ihn die Kinder nich sehen lassen, eh er seinen Unterhalt nich bezahlt hat. Die Werkstatt is fast pleite, aber dafür hat sie kein Verständnis. Und von unserer kleinen Rente geht das doch nich, und Aimo hat auch kein Geld, wo doch fast die ganze Ernte verregnet ist …»
    Die zweite Scheidung meines Bruders Tarmo war sehr kom-pliziert gewesen. Die Töchter waren bei ihrer Mutter geblieben, und das Gericht hatte hohe Alimente festgesetzt, die Tarmo irgendwie zusammengekratzt hatte, bis er wieder heiratete. Seine dritte Frau pflegte einen aufwendigen Lebensstil, das Geld reichte einfach nicht mehr. Tarmo war mit den Unterhaltszah-lungen mehrere Monate im Rückstand.
    Ich hatte meinen Brüdern immer wieder aushelfen müssen.
    In Aimos Kasse herrschte chronische Ebbe, also hatte ich ihm die

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